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Zur Geschichte der neueren Philosophie读后感1000字

Zur Geschichte der neueren Philosophie读后感1000字

《Zur Geschichte der neueren Philosophie》是一本由Friedrich Wilhelm Joseph Schelli著作,Hofenberg出版的172图书,本书定价:Gebundene Ausgabe,页数:2016-11-7,特精心收集的读后感,希望对大家能有帮助。

《Zur Geschichte der neueren Philosophie》读后感(一):Vorwort

Es gibt verschiedene Gründe, aus denen man, wenigstens als Zugabe zu einer Einleitung in die Philosophie selbst, auch einen Rückblick auf die früheren Systeme zweckmäßig finden kann. Auch die Wissenschaft ist ein Werk der Zeit und in einer stetigen Entwicklung begriffen. Jeder, der sich imstande glaubt, sie um einen großen oder kleinen Schritt weiter zu fördern, wird von selbst geneigt sein, sein Verhältnis zu dem, was ihm vorherging, zu zeigen, um auf diese Art deutlich zu machen, von welchem Punkte der Entwicklung oder des Stillstandes er die Wissenschaft aufnehmen und nach welchem nächsten Ziel er sie zu fördern gedenke. Er wird die Teilnahme an seinen eigenen Forschungen höher spannen, wenn er zeigt, wie bis jetzt von Stufe zu Stufe das höchste Ziel verfehlt worden. Der Anfänger in der Philosophie lernt auf diese Weise, wenn auch bloß historisch, vorläufig schon die Gegenstände kennen, um die es zu tun ist und welche vorzugsweise die Geister der letzten Jahrhunderte beschäftigt haben. Wenn es endlich, um die Wahrheit schätzen und beurteilen zu lernen, notwendig ist, auch den Irrtum zu kennen, so ist eine solche Darstellung wohl die beste und sanfteste Art, dem Anfänger den Irrtum, der überwunden werden soll, zu zeigen. Doch das Gewicht aller dieser Gründe nimmt zu, wenn es nicht bloß eine neue Methode oder veränderte Ansichten in einzelnen Materien, sondern eine Veränderung im Begriff der Philosophie selbst gilt. Hier wird es dann erwünscht sein, wenn dieser Begriff auch unabhängig von der Wahrheit, die er an sich oder ursprünglich hat, zugleich als das natürliche geschichtliche Resultat früherer mißlungener Bemühungen, nicht mehr in seiner bloßen Allgemeinheit, sondern als ein notwendiges Ergebnis gerade dieser Zeit erscheint.[19]

《Zur Geschichte der neueren Philosophie》读后感(二):Über den nationalen Gegensatz in der Philosophie

Über den nationalen Gegensatz in der Philosophie

[214] Wer unserer geschichtlichen Entwicklung bis hierher gefolgt ist, konnte leicht die Bemerkung machen, daß diese im Fortschreiten mehr und mehr auf deutsche Philosophie sich zusammenzog. Wenn er nun ferner aus diesen Vorträgen die Art deutscher Philosophie, und um was es der Philosophie in Deutschland zu tun ist, kennengelernt hat und einen Blick werfen will auf den Zustand der Philosophie in dem übrigen Europa, so wird er nicht umhin können zu urteilen: Philosophie in diesem Sinn existiere zwar in Deutschland, aber nicht in der Welt. Dies ist aber bedenklicher, als man auf den ersten Blick glauben möchte. Denn wenn wir jenen Sinn nicht für einen bloß zufälligen, sondern wesentlichen halten müssen, so wäre man dann genötigt, weiter zu sagen: es gebe überhaupt nur eine Philosophie in Deutschland, aber nicht in der übrigen Welt. Es ist also wohl der Mühe wert, am Ende dieser Entwicklung die Frage aufzuwerfen, ob und inwiefern diese Differenz zwischen den Deutschen und den anderen europäischen Nationen wirklich existiere, und in diesem Fall, wie sie zu begreifen und zu erklären sei. Da nun aber der Unterschied selbst gar nicht abzuleugnen scheint, da es offenbar ist, daß, während die Deutschen noch immer ein großes Interesse des Gemüts und Geistes für Philosophie an den Tag legen, die andern europäischen Völker, Engländer und Franzosen insbesondere, eine große Abneigung gegen Spekulation zeigen und den Betrieb wissenschaftlicher Philosophie seit geraumer Zeit ganz aufgegeben haben, so scheint zunächst bloß von der Ursache dieses Unterschieds die Rede sein zu können. Da möchte es denn aber schwer sein, eine allgemeine gültige Antwort, d.h. eine solche zu finden, die der Deutsche ebensowohl als der Franzose und umgekehrt der Engländer ebensowohl als[214] der Deutsche, anzuerkennen geneigt wäre. Denn wie sich der Franzose unsere Vorneigung zur Spekulation und Philosophie erklärt, können wir uns ungefähr denken, wenn wir es auch nicht wüßten, und wie es der Engländer ansehen würde, wenn der Deutsche seinen Vorzug in Ansehung der Philosophie aus der tieferen Gemüts- und Geistesanlage seiner Nation erklären wollte, können wir uns auch wohl vorstellen. Wollte der Deutsche etwa die Vorzüge seiner Sprache geltend machen, von der Leibniz geurteilt, die Spekulation sei ihr eingeboren, so müßte ja das von dem Englischen wenigstens einigermaßen auch gelten; der Engländer würde entgegnen: gerade in den Ausdrücken der Grundbegriffe, die in den Wurzeln einer Sprache zu suchen sind, sei seine Sprache größtenteils der deutschen verwandt; außerdem aber würde eine größere Tiefe der Anlage sowohl als der philosophischen Beschaffenheit der Sprache wohl einen Unterschied des Erfolgs erklären, nicht aber, wovon eigentlich die Rede ist, daß Franzosen und Engländer Philosophie in deutschem Sinn gar nicht anerkennen.

Eher ließe sich vielleicht eine geschichtliche Erklärung hören, die das fortdauernde und immer wieder erregte Interesse der Deutschen an Philosophie von dem Glaubenszwiespalt, von der Koexistenz gleichberechtigter Religionsbekenntnisse in Deutschland herleite, und wer, der nur einen Blick auf den Gang der Philosophie in Deutschland werfen will, wird nicht in dem wirklich religiösen Ernst, in der enthusiastischen Art selbst, mit der die Philosophie zum Teil in Deutschland betrieben worden, ein Bedürfnis erblicken, jene Tat der Emanzipation, an der bekanntlich alle deutschen Völker ohne Aufnahme, mehr oder weniger, teilgenommen, gleichsam zu versöhnen und die äußerlich verlorene Einheit innerlich und auf dem Felde der Wissenschaft wiederherzustellen. Diese geschichtliche Hinweisung würde dann allerdings erklären wie und wodurch in Deutschland das Interesse an der Philosophie immer rege erhalten und, so oft es einschlummern wollte, stets wieder hervorgerufen und erweckt worden[215] ist. Aber es ist ja nicht bloß von einem Mehr oder Weniger, es ist von einem Gegensatz in der Sache selbst die Rede, denn die andern verwerfen nicht überhaupt und in jedem Sinne die Philosophie (die Franzosen waren es ja, die dem vorigen Jahrhundert zuerst das Ehrenprädikat des philosophischen erteilten, und Philosophie war in Frankreich lange genug das Feldgeschrei der bedeutendsten Schriftsteller und selbst Staatsmänner) – also nicht Philosophie überhaupt verwerfen die andern, sondern nur Philosophie im deutschen Sinn. Uns steht nun allerdings frei, zu erwidern, was sie für Philosophie halten, sei es gar nicht, und nur wir wissen, was Philosophie sei. Aber teils ist damit so viel nicht gesagt, als auf den ersten Blick scheint, denn auch bei uns ist schon manchem gesagt worden, daß, was er für Philosophie gebe, nichts weniger als das sei; die Deutschen lassen es an der Artigkeit untereinander nicht fehlen; teils scheint es doch aller Vernunft entgegen, ganzen sonst vorzüglich begabten Nationen eine Unfähigkeit für Philosophie zuzuschreiben, eine Erklärung, die um so sonderbarer wäre, als sie doch auf jeden Fall nur eine temporäre sein könnte; denn dem Volk, das einen Descartes, einen Malebranche und Pascal hervorgebracht hat, Gemüts- und Geistesanlage zur Philosophie völlig abzusprechen, machte man doch wohl vor sich selbst nicht rechtfertigen. Und so sehen wir uns doch am Ende genötigt, wenigstens für möglich zu halten, daß jener Entfernung von der Philosophie im deutschen Sinn, die wir bei den andern Völkern wahrnehmen, etwas Wahres und Richtiges zugrunde liegen könnte. Und so führt uns die Unmöglichkeit, auf die zweite Frage eine andere zulängliche Antwort zu finden als die Annahme, daß die andern in ihrer bisherigen Abneigung gegen Philosophie im deutschen Sinn doch auch auf gewisse Weise recht gehabt haben können, dieses führt uns denn auf die erste Frage zurück, worin eigentlich der Unterschied in dieser Beziehung bestehe, und da dieser nur in der Art der Philosophie liegen kann, welche Art von Philosophie es sei, die den andern Völkern allein zusagt, und wie die[216] von uns vorzugsweise so genannte Art sich zu jener verhalte.

Hierüber bedarf es aber keines langen Nachdenkens. Jene andern nämlich behaupten, Philosophie sei eine Erfahrungswissenschaft, und wollen sie nur als solche; der Deutsche aber behauptet bis jetzt wenigstens, Philosophie sei eine reine Vernunftwissenschaft, und will sie ebenfalls nur als solche. Versteht man nun unter Empirismus die Behauptung, daß es kein anderes Wissen gebe als aus Erfahrung, demnach, daß auch nur Erfahrungsmäßiges gewußt werden könne, so ist gleichwohl, je nachdem man mit dem Wort erfahrungsmäßig einen anderen Sinn verbindet, auch der Sinn jener Behauptung ein verschiedener.

Was man gewöhnlich und zunächst unter Erfahrung versteht, ist die Gewißheit, die wir durch die Sinne von äußeren Dingen und deren Beschaffenheit erhalten. Nächstdem spricht man auch von einer Erfahrung des inneren Sinus, die durch Selbstbeobachtung, durch Beobachtung der Vorgänge und Veränderungen im eigenen Innern gewonnen wird. Bleibt man nun dabei stehen und denkt sich unter Erfahrungsmäßigem nur, was unmittelbar Gegenstand des äußeren und inneren Sinns werden kann, so ist die äußere Sinnenerfahrung von den empirischen Naturwissenschaften in Beschlag genommen; für die Philosophie blieben also nur die Erfahrungen des inneren Sinns übrig. Die Philosophie würde demnach bloß in einer Analyse, höchstens zugleich einer Kombination der inneren Erscheinungen und der Vorgänge des Bewußtseins, kurz in dem bestehen, was wir eine gute (vollständige) empirische Psychologie nennen. Das ist nun auch so ziemlich die Vorstellung, die sich die Franzosen von Philosophie machen, und diese Vorstellung ist allerdings nach den Begriffen, mit welchen wir z.B. bis jetzt die Philosophie angesehen, eine ziemlich geringfügige. Wenn man aber bedenkt, daß viele unter uns sind, denen nicht nur kein höherer Begriff der Philosophie beiwohnt, sondern die ganz dasselbe behaupten, daß die Philosophie über die Tatsachen des Bewußtseins, d.h. also über den Umkreis[217] einer Psychologie oder subjektiven Anthropologie, im allgemeinen nicht hinausgehen könne, so sieht man nicht eigentlich, worin der große Unterschied wenigstens eines ansehnlichen Teils dessen, was sich in Deutschland Philosophie nennt, und dessen, was in Frankreich so genannt wird, bestehen soll.

Ja, so große Verehrung wir dem Namen Kants schuldig sind, so liegt doch am Tage, daß, wenn wir bloß auf das Resultat sehen, nicht einleuchten will, um wie viel besser derjenige daran sei, der bei Kant, als der noch früher bei Locke und Condillac stehenbleibt. Denn Locke hat einen Versuch über den menschlichen Verstand, Kant eine Kritik der reinen Vernunft geschrieben, die viel methodischer ist, aber auch um ein gut Teil nicht bloß schwerfälliger, sondern in der Hauptsache unverständlicher. Locke behauptet, daß nicht nur alle menschlichen Vorstellungen, sondern auch alle unsere Begriffe, selbst die wissenschaftlichen nicht ausgenommen, mittelbar von der Erfahrung abgeleitet sind. Kant gibt uns zwar gewisse, von der Erfahrung unabhängige, Begriffe zu; da sie aber doch nur einer Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung fähig sind, so werden wir durch sie nicht unabhängiger von der Erfahrung – das Resultat ist für uns dasselbe; denn den besonderen Weg ins Übersinnliche, den Kant in seiner Moralphilosophie gefunden hat, könnte sich auf gewisse Art auch der Empirismus noch gefallen lassen. Denn gleichwie Kant das unbedingt gebietende Sittengesetz in uns gleichsam zum Zeugen der Existenz Gottes macht, so läßt es auch Locke nicht daran fehlen, Bürgschaften dieser Existenz in unserem Bewußtsein aufzuzeigen. Aber zwischen beiden ist der große Unterschied, daß gleichwohl Kant in der theoretischen Philosophie Gott zum Gegenstand einer Vernunftidee macht. Dies ist aber eben das protôn pseudos; der neueren Philosophie; es ist nicht einzusehen, wie, wenn es keine auch noch so unbedeutende Persönlichkeit gibt, die nicht außer der Vernunft noch mehr und Reelleres zu ihrer Erkenntnis fordert, wie gerade die höchste und vollkommenste Persönlichkeit sich[218] uns durchaus nicht anders als mittelst einer reinen Vernunftidee kundgeben sollte. Durch Kant war also der Rationalismus in der Philosophie proklamiert (vorher war man darüber, besonders in Ansehung der Idee Gottes, doch nicht so im klaren). Kant wehrte zwar und verbot allen theoretischen Gebrauch dieser Idee, allein er hatte gut wehren; wenn Gott eine Vernunft-Idee ist, so kann sich die Vernunft nicht nehmen lassen, diese Idee auch als solche zu verwirklichen; natürlich kann dies nicht anders als ebenfalls in einem bloßen Vernunftsystem geschehen – und dies, nichts anderes, hat die spätere Philosophie unternommen. Der Empirismus, indem er auf das Dasein Gottes stets nur, wie auf die Existenz einer anderen Persönlichkeit, aus empirischen, erfahrungsmäßigen Spuren, Merkmalen, Fußstapfen oder Kennzeichen schließt, begründet dadurch jenes wohltätige freie Verhältnis zu Gott, das der Rationalismus aufhebt, und wie man gestehen muß, daß noch heutzutage, wenn, wie in den späteren Zeiten des griechischen und römischen Verfalls, nur zwischen Stoizismus und Epikureismus die Frage wäre, das epikureische System gerade durch das, was in ihm das Absurde scheint, das sogenannte clinamen atomorum, durch das es den Zufall gewissermaßen als höchstes Prinzip einführt, wie, sage ich, das epikureische System trotz oder vielmehr wegen dieser Ungereimtheit auch heute noch als eine Zuflucht der Freiheit von jedem freien und freiheitliebenden Geiste vor dem stoischen ergriffen und aufgesucht werden müßte, so, wenn wir nur die Wahl hätten zwischen dem Empirismus und der alles niederdrückenden Denknotwendigkeit eines aufs Höchste getriebenen Rationalismus, würde kein freier Geist Anstand nehmen können, sich für den Empirismus zu entscheiden.

Der Empirismus läßt also selbst eine höhere Betrachtungsweise zu oder ist von einem höhern Standpunkt zu fassen, als von welchem ihn der herkömmliche oder wenigstens seit Kant gewöhnliche Begriff faßt, der nämlich alles Intelligible jenseits – nicht nur der Verstandesbegriffe, sondern ursprünglich und zu erst jenseits aller Erfahrung[219] verweist. Daher die jetzt gewöhnliche Erklärung, der Empirismus leugne alles Übernatürliche; aber dem ist nicht so. Der Empirismus, weil er dies ist, leugnet darum nicht notwendig das Übernatürliche, noch nimmt er die rechtlichen und sittlichen Gesetze so wie den Inhalt der Religion als etwas bloß Zufälliges an, nämlich in dem Sinn, daß er alles auf bloße Gefühle reduzierte, die selbst nur das Erzeugnis der Erziehung und Gewohnheit wären, wie es allerdings David Hume getan, der übrigens dasselbe in bezug auf die Art von Notwendigkeit, mit der wir Ursache und Wirkung in Gedanken verknüpfen, behauptete. Es gibt selbst einen höheren und niedereren Begriff des Empirismus. Denn wenn das Höchste, wozu gewiß nach allgemeiner Übereinstimmung selbst der bis jetzt anders Denkenden die Philosophie gelangen kann, eben dieses sein würde, die Welt als frei Hervorgebrachtes und Erschaffenes zu begreifen, so wäre demnach Philosophie in Ansehung der Hauptsache, die sie erreichen kann, oder sie würde, gerade indem sie ihr höchstes Ziel erreicht, Erfahrungswissenschaft, ich will nicht sagen im formellen, aber doch im materiellen Sinn, nämlich, daß ihr Höchstes selbst ein seiner Natur nach Erfahrungsmäßiges wäre. – Wenn daher bis jetzt jener nationale Gegensatz in Ansehung der Philosophie wirklich besteht, so zeigt dieser Zwiespalt zunächst nur, daß die jenige Philosophie, in der sich die Menschheit selbst zu erkennen vermöchte, die wahrhaft allgemeine Philosophie, bis jetzt noch nicht existiert. Die wahrhaft allgemeine Philosophie kann unmöglich das Eigentum einer einzelnen Nation sein, und solang irgendeine Philosophie nicht über die Grenzen eines einzelnen Volkes hinausgeht, darf man mit Zuversicht annehmen, daß sie noch nicht die wahre sei, wenn vielleicht auch auf dem Weg dazu.

Es ist freilich eine klägliche Pusillanimität und enge Beschränktheit, wenn die Philosophie, z.B. in Frankreich, von dem ganzen weiten und großen Reich der Erfahrung nichts für sich in Anspruch nimmt als das schmale und enge Gebiet kleinlicher, psychologisch genannter Beobachtungen[220] und Analysen. In Frankreich selbst ist die einheimische Philosophie oder, wie sie neuerdings genannt worden, Ideologie, ohne alle eigentliche Achtung, mehr höflich geduldet und behandelt als anerkannt. Wenn es einigen jüngeren Männern in Frankreich gelungen ist, einen gewissen Enthusiasmus für Philosophie zu erregen, so war es hauptsächlich nur, inwiefern sie die äußere Moral Kants der leichtsinnigen Frivolität ihrer Nation entgegensetzten und an ihr die Mittel einer vorerst moralischen Regeneration ihres Volkes gefunden zu haben glaubten. Die wahren Beförderer der Philosophie in Frankreich und England sind ihre großen Naturforscher, und man kann es den Engländern insofern wohl zugut halten, wenn Philosophie bei ihnen vorzugsweise, ja fast ausschließlich Physik bedeutet. – Vorzugsweise von seiten der Naturwissenschaft scheinen deutsche Ideen in Frankreich Eingang zu finden. Wer z.B. manche neuere Untersuchungen der Franzosen über Anatomie des Gehirns liest, wird mit Verwunderung eine neue Sprache, eine neue Art des Ausdrucks, die man in Deutschland noch vor kurzem mit dem Beiwort poetisch zu schimpfen glaubte, eine neue, durchaus deutsche Auffassungsart finden; selbst Cuvier zeigt in seinen neuesten Schriften über Geologie und Naturgeschichte der Vorwelt, daß gegenüber von diesen großen Erscheinungen deutsche Ideen über die Naturgeschichte der Erde und selbst deutscher Ausdruck großen Einfluß auf ihn gewonnen haben. Und ebenso möchte denn, wie aus einigem zu schließen, deutsche Wissenschaft vorzüglich auch von der Seite des Geschichtlichen und der Altertums-Forschungen in Frankreich und England Eingang finden. Verkehrt, geradezu verkehrt wäre es also, jene andern Nationen von der Lehre des Empirismus, die sie mit so großem anderweitigem Vorteil verfolgen, zurückrufen wollen; für sie wäre dies in der Tat eine rückgängige Bewegung. Es ist nicht an ihnen, es ist an uns Deutschen, die seit der Existenz der Naturphilosophie aus der traurigen Alternative einer in der Luft schwebenden, jeder Grundlage entbehrenden Metaphysik (über die[221] sie mit Recht sich lustig machen) und einer unfruchtbaren, ariden Psychologie herausgetreten sind – es ist an uns, sage ich, das System, das wir zu ergreifen und zu erreichen hoffen dürfen, jenes positive System, dessen Prinzip eben wegen dieser seiner absoluten Positivität selbst nicht mehr a priori, sondern nur a posteriori erkennbar sein kann, bis zu dem Punkt auszubilden, wo es mit jenem – in gleichem Verhältnis erweiterten und geläuterten – Empirismus zusammenfließen wird.[222]

《Zur Geschichte der neueren Philosophie》读后感(三):Kant · Fichte · System des transzendentalen Idealismus

[94] In diesem Zustand also befand sich die Philosophie, als Immanuel Kant unversehens als Instaurator derselben erschien und ihr den wissenschaftlichen Ernst und damit zugleich die verlorene Würde wiedergab.

Ehe ich nun zu Kant selbst fortgehe, will ich eine allgemeine Bemerkung vorausschicken, die mehr oder weniger auf alle menschlichen Taten anzuwenden ist, daß nämlich ihre eigentliche Wichtigkeit, d.h., daß ihre wahren Wirkungen meist andere sind, als die beabsichtet worden oder die im Verhältnis der Mittel stehen, durch welche sie hervorgebracht wurden. Kants Wirkung war in der Tat eine außerordentliche. Man kann sich eben nicht darüber freuen, wenn fünfzig Jahre nach Kants Erscheinung, nachdem wir jetzt allerdings auf einem andern Punkte sind, aber zu dem wir nie ohne ihn gelangt wären, Kants Verdienst von solchen herabgesetzt wird, die nichts dazu beigetragen, daß wir über Kant hinausgekommen. Eben dasselbe ist von Fichte zu sagen. Es gehört heutzutage nicht viel dazu, ein Verwerfungsurteil über beide auszusprechen, aber es gehörte viel dazu, die Philosophie nur wieder auf den Punkt zu heben, wohin sie durch Kant und Fichte war gehoben worden. Das Urteil der Geschichte wird sein, nie sei ein größerer äußerer und innerer Kampf um die höchsten Besitztümer des menschlichen Geistes gekämpft worden, in keiner Zeit habe der wissenschaftliche Geist in seinem Bestreben tiefere und an Resultaten reichere Erfahrungen gemacht als seit Kant. Aber diese Wirkung wurde nicht eigentlich hervorgebracht durch das, was Kant unmittelbar wollte. Während er durch seine Kritik aller Erkenntnis des Übersinnlichen für immer ein Ende gemacht zu haben glaubte, hat er eigentlich nur bewirkt, daß Negatives und Positives in[94] der Philosophie sich scheiden mußten, aber eben damit das Positive, nun in seiner ganzen Selbständigkeit hervortretend, sich der bloß negativen Philosophie als die zweite Seite der Philosophie überhaupt, als positive, entgegensetzen konnte. Diesen Scheidungs- und den darauf erfolgten Verklärungsprozeß der Philosophie ins Positive hat Kant eingeleitet. Kants Kritik hat um so mehr dazu beigetragen, als sie keineswegs feindselig gegen das Positive gesinnt ist. Während er das ganze Gebäude jener Metaphysik zusammenbricht, zeigt er doch immer die Meinung, daß man am Ende wollen müsse, was sie gewollt habe, und daß ihr Inhalt doch zuletzt die wahre Metaphysik sein würde, wenn es nur möglich wäre.

Ich gehe nun zur Darstellung Kants selbst über mit dem Satz, daß Kants Kritik zunächst gegen die in den Schulen angenommene Metaphysik gerichtet war, daß sie aber von einer andern Seite und unter der Hand gleichsam auch wieder zu einer Verteidigung eben dieser Metaphysik wurde.

Es hatte sich gegen dieselbe eben damals von England aus, hauptsächlich durch John Locke, der Empirismus erhoben, welcher die Existenz aller von der Erfahrung unabhängiger Begriffe leugnete, und aus diesem Empirismus war die alles Allgemeine und Notwendige in der menschlichen Erkenntnis bezweifelnde oder vielmehr widersprechende Lehre des berühmten englischen Philosophen und Geschichtschreibers David Hume hervorgegangen; dieser sogenannte Skeptizismus Humes war nach Kants eigner Angabe dasjenige, wodurch er den Hauptanstoß zu seiner eignen Philosophie erhielt.

Humes Angriffe gingen fast ausschließlich gegen die objektive Gültigkeit des Kausalgesetzes, des Grundsatzes, daß alles, was geschieht, eine Ursache habe. Unbedenklich richten wir uns in allen unsern Handlungen wie in unsern Urteilen, ja Hume als ganz pragmatischer, d.h. als lehrreicher, die Ereignisse aus ihren Ursachen erklärender Geschichtschreiber, richtet sich selbst nach diesem Gesetz Und was das Wunderbarste ist, wir selbst wenden dieses[95] Gesetz an und sehen andere es anwenden, ohne daß wir dieses Gesetzes eigentlich bewußt sind. Wir wenden es nicht an infolge einer wissenschaftlichen Einsicht in dasselbe, sondern von Natur und gleichsam instinktmäßig, zum Beweis, daß es ein reales Prinzip in uns ist, das uns so zu urteilen nötigt. Genau betrachtet hat Hume nur bewiesen, daß ein solches universelles, nicht bloß für alle wirklichen, sondern für alle möglichen Fälle geltendes Gesetz nicht aus der Erfahrung herstammen könne. Die Erfahrung kann allerdings nichts Allgemeines gewähren. Nun war aber schon angenommen, daß alle Erkenntnis nur aus den Sinnen komme. Es blieb also Hume nichts übrig, als die Allgemeinheit in der Anwendung dieses Gesetzes als eine bloß subjektive Erscheinung, nämlich durch eine bloß subjektive Angewöhnung, zu erklären. »Nachdem wir, sagt er, in unzähligen Fällen gesehen haben, daß gewissen Erscheinungen oder Ereignissen andere vorausgegangen sind, oder umgekehrt auf gewisse vorausgegangene Ereignisse andere gefolgt sind, so hat sich durch diese beständige Wiederholung unser Verstand zuletzt daran gewöhnt, jene Erscheinungen oder Ereignisse in Verbindung zu sehen und so zuletzt sie in den Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu setzen, die vorausgehenden als Ursache, die folgenden als Wirkung zu betrachten.« Ich will vorjetzt nicht auseinandersetzen, daß selbst eine unendlichmal wiederkehrende Aufeinanderfolge zweier Ereignisse A und B noch immer nicht den Begriff der Ursache und Wirkung hervorbringen würde, wenn dieser nicht, unabhängig von der äußeren Erfahrung, durch eine innere Notwendigkeit unserer Natur uns auferlegt wäre. Alles, was uns aus jener wiederholten Wahrnehmung entstehen könnte, wäre, daß wir sagten: auf die Erscheinung A ist in allen Fällen, die ich bis jetzt beobachten konnte, die Erscheinung B gefolgt, und nie habe ich die Erscheinung B beobachtet, ohne daß die Erscheinung A vorausgegangen wäre, aber von dieser Bemerkung ist es noch himmelweit bis zur Verbindung beider als Ursache und Wirkung, worin noch etwas mehr liegt als bloße Aufeinanderfolge[96] – diese kann mich immer nur ein post hoc, aber nie ein propter hoc lehren, und wir würden in Ansehung aller Erscheinungen bei dem post hoc stehenbleiben, wie wir in gar vielen Fällen wirklich bei demselben stehenbleiben – selbst in Fällen, wo nicht einmal nur und zufällig, sondern wirklich nach einer Regel eines auf das andere folgt, und wo wir uns wohl hüten, beide Erscheinungen miteinander in Kausalnexus zu bringen. Wenn wir die eine Art von Folge, das post hoc, wo eine bloß äußere Folge ist, von der andern, dem propter hoc, wohl zu unterscheiden wissen, warum sollten wir dies nicht in allen Fällen können? Ich will indes auf dieser Reflexion gar nicht einmal bestehen, so wie ich überhaupt fragen möchte, ob es zur Widerlegung des Humeschen Zweifels gerade des großen Apparats der Kritik der reinen Vernunft bedurfte. Es ist sonderbar genug, daß man diese Widerlegung so schwer gefunden, wie niemand bis jetzt das ganz Einfache bemerkt hat, daß er selbst aus bloßer Erfahrung widerlegt werden kann. Hume erklärt das Kausalprinzip aus einer Angewöhnung; zu jeder Angewöhnung gehört aber eine gewisse Zeit; Hume muß also dem einzelnen Menschen nicht nur, er muß dem ganzen Menschengeschlecht eine gewisse Zeit zugeben, während deren es immer auf eine gewisse Erscheinung A die andere Erscheinung B folgen hat sehen, und so sich endlich gewöhnt hat, diese Folge als notwendig zu betrachten (denn dies liegt im Kausalbegriff). Aber eben dies, was Hume stillschweigend voraussetzt und also voraussetzen zu können meint, ist gar nicht vorauszusetzen. Denn ich bin überzeugt, keiner von uns wird geneigt sein, eine Zeit zuzugeben, wo das Menschengeschlecht nicht nach dem Gesetz der Ursache und Wirkung geurteilt hätte, und Hume selbst, wenn wir ihm die Frage vorlegen könnten, ob er sich den Menschen in irgendeinem Zeitpunkt seiner Existenz ohne diesen Begriff und ohne die Anwendung desselben denken könne, würde mit seinem Ja auf diese Frage zaudern; er würde fühlen, daß der Mensch, dem er das Urteil nach Ursache und Wirkung entzogen hätte, uns gar nicht mehr als Mensch erscheinen[97] könnte. Wir können also völlig gewiß sein, daß schon der erste Mensch gleich am ersten Tage seines Daseins nach diesem Prinzip urteilte, weil es zur menschlichen Natur gehört, so zu urteilen, wie denn die Schlange im Paradies, welche doch übrigens nach der mosaischen Erzählung dem ersten Menschen gleich skeptische Bemerkungen gegen das göttliche Verbot zuflüstert, ihm nicht etwa Unterricht über das Kausalgesetz erteilt, sondern voraussetzt, er verstehe sie wohl, wenn sie ihm sagt: So ihr die Frucht esset, werden eure Augen aufgetan sein, oder des Tages, da ihr von dieser Frucht esset, werdet ihr wie Gott sein; was doch so viel heißt: die Frucht oder das Essen der Frucht wird die Ursache davon sein, daß eure Augen aufgetan werden, die Wirkung dieses Genusses wird sein, daß ihr Gott gleich werdet. – Es existiert in arabischer Sprache ein Roman oder eine Erzählung unter dem Titel: Philosophus Autodidactus, wo ein Kind fingiert wird, das von seiner Mutter gleich nach der Geburt auf einer Insel des Indischen Ozeans ausgesetzt wird und das nur stufenweise durch Anwendung des ihm an- oder eingeborenen Verstandes zu allen philosophischen Begriffen und Einsichten gelangt. Allein wir bedürfen keiner solchen Fiktion, um Hume zu widerlegen; denn das Kind in der Wiege, das noch keine Gelegenheit gehabt hat, sich an eine gewisse Aufeinanderfolge von Erscheinungen zu gewöhnen, und dem noch weniger jemand von Ursache und Wirkung gesprochen, das Kind in der Wiege, wenn es ein Geräusch hört, wendet es sich nach der Gegend, wo das Geräusch herkommt, in keiner andern Absicht, als um die Ursache dieses Geräusches zu sehen, die es sonach voraussetzt.

Nach dem Gesetz der Ursache und Wirkung zu urteilen, ist uns also durch eine nicht bloß von unserem Wollen, sondern selbst von unserem Denken unabhängige und diesem vorausgehende Notwendigkeit auferlegt; was aber von unserem Wollen und Denken unabhängig ist, das nennen wir ein reales Prinzip. Es ist daher durch die Erfahrung selbst bewiesen, daß es ein reales Prinzip ist, das gleichsam wie eine universelle Schwerkraft – so wie diese[98] den Körper bestimmt, gegen das Zentrum sich zu bewegen, so uns nötigt, nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung zu urteilen wie nach dem Gesetz des Widerspruchs zu denken.

Gehen wir jedoch nun zu Kants Kritik der reinen Vernunft fort, so liegt dieser im allgemeinen der Gedanke zugrunde: ehe man etwas erkennen wolle, sei es nötig, unser Vermögen, zu erkennen, selbst einer Prüfung zu unterwerfen. Wie ein vorsichtiger Bauherr, eh' er sich ein Haus aufführe, seine Mittel wohl überlege, ob sie nämlich auch zur festen Begründung und zur glücklichen Hinausführung des Baus zureichen, so müsse der Philosoph, eh' er daran denke, ein Gebäude der Metaphysik aufzuführen, erst sich der Materialien desselben versichern, ob er sie auch herbeischaffen könne, und da diese Materialien hier aus einer geistigen Quelle geschöpft werden, so müsse diese selbst erst untersucht sein, damit man gewiß sei, ob sie zu dem beabsichtigten Bau auch wirklich zureichenden Stoff enthalte oder darbiete. Ehe man sich Hoffnung auf Erkenntnis – besonders der übersinnlichen Gegenstände – mache, müsse erst untersucht sein, ob wir auch das Vermögen besitzen, sie zu erkennen.

Auf den ersten Blick ist dieser Gedanke ungemein einleuchtend. Bei näherer Betrachtung findet sich aber, daß es dabei um ein Erkennen des Erkennens zu tun ist, und daß dieses Erkennen des Erkennens eben auch wieder ein Erkennen ist. Demnach bedürfte es erst einer Untersuchung über die Möglichkeit einer solchen Erkenntnis des Erkennens, und so könnte man ins Unendliche zurückfragen.

Wenigstens wird Kant, da er so kritisch zu Werk geht, sich selbst eines leitenden Prinzips und einer zuverlässigen Methode für seine Untersuchung des Erkenntnisvermögens versichert haben. Leider ist dies nicht der Fall. Er schickt keine allgemeine Untersuchung über die Natur des Erkennens voraus, sondern geht gleich über zu der Aufzählung der einzelnen Quellen der Erkenntnis oder der einzelnen erkennenden Fakultäten, die er aber nicht etwa wissenschaftlich[99] ableitet, die er vielmehr aus der bloßen Erfahrung aufnimmt, ohne ein Prinzip, das ihn der Vollständigkeit und der Richtigkeit seiner Aufzählung versicherte. Insofern kann seine Kritik der reinen Vernunft selbst nicht als eine wissenschaftliche Ausmessung des menschlichen Erkenntnisvermögens gelten.

Die drei Quellen der Vernunft sind ihm Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft. Die Sinnlichkeit bezieht sich entweder auf die außer uns befindlichen Gegenstände oder unser eignes Innere, inwiefern wir die in uns selbst vorgehenden Veränderungen wahrnehmen – das Vermögen dieser Wahrnehmung der in uns selbst gesetzten Affektionen oder Veränderungen nennt er den inneren Sinn, wo also (ohne daß ein Grund angegeben wird) nur von einem Sinn, nicht von mehreren Sinnen die Rede ist, wie bei den äußeren Gegenständen. Die Erkenntnis, welche aus dieser ersten Quelle, aus der Sinnlichkeit entsteht – in der also schon mehr gedacht ist als der bloße Sinneneindruck –, heißt Anschauung. In der Anschauung aber unterscheiden wir das Zufällige, das anders sein könnte, und ein anderes, das nicht anders sein könnte. In Ansehung der äußeren Gegenstände ist dies der Raum. Wir können uns die äußeren Gegenstände nicht anders als im Raume vorstellen, der Raum ist also die notwendige und allgemeine Form unserer äußeren Anschauung. Hier beweist nun Kant aus der Notwendigkeit und Allgemeinheit dieser räumlichen Form unserer äußeren Anschauung, daß der Raum nicht ebenso wie das bloß Zufällige und Materielle der Dinge etwas bloß Empirisches oder erst mit der wirklichen Anschauung Entstehendes sein könne, daß er eine Form sei, die der wirklichen Anschauung in uns vorausgehe und also in der Natur unseres Erkenntnisvermögens selbst gegründet sei, woraus denn folgt, daß er nicht den Gegenständen selbst an sich oder unabhängig von unserer Vorstellung inhäriert, sondern nur den Gegenständen, sofern sie von uns angeschaut worden. Daraus würde denn weiter folgen, daß das Wesen der Gegenstände außer uns an sich unräumlich und unsinnlich sei. Allein Kant überläßt uns diese Folgerung[100] ebenso, als er uns überläßt, selbst uns auszudenken, wie denn nun der an sich unräumliche Stoff, der doch den letzten Grund unserer Vorstellungen von Gegenständen außer uns hergeben muß, wie dieser Stoff sich in unserer Anschauung zu jener Form des Raums bequeme, räumliche Form annehme.

Was für die äußere Anschauung der Raum, das ist für die innere die Zeit. Unsere Vorstellungen, Empfindungen usw., und zwar sowohl die Vorstellungen, die rein aus uns selbst, aus der eignen Tätigkeit unseres Geistes entstehen, als die Vorstellungen zu welchen wir durch äußere Gegenstände veranlaßt sind, sukzedieren sich; die Form, unter der wir sie wahrnehmen, ist Sukzession – Zeit. Daraus folgt also, daß in dem, was unsere Vorstellung von äußeren Dingen veranlaßt, weder Sukzession noch Zeit ist, ja es folgt sogar, daß eigentlich nicht einmal die sinnlich vorgestellten Dinge selbst, sondern nur die Vorstellungen, sofern wir sie durch den innern Sinn wahrnehmen, in der Zeit sind. Es folgt also, daß die Zeit noch weniger Unabhängigkeit von unseren Vorstellungen hat als der Raum, daß sie noch subjektiver ist als selbst dieser.

Bei alledem hat nun aber Kant außer Zeit und Raum, die bloß Formen unseres Anschauens und Vorstellens sind, den an sich raum- und zeitlosen Grund unserer Anschauungen, jenes Unbekannte, das er mit x (dem Zeichen der unbekannten Größe in der Mathematik) bezeichnet und das er sonderbar genug das Ding an sich nennt (eigentlich wäre es das Ding an und vor sich selbst, d.h. eh' es zum Ding wird, denn zum Ding wird es erst in unserer Vorstellung.) Was nun aber dieses außer allem Raum und außer aller Sukzession und Zeit Gesetzte, das, inwiefern es außer allem Raum, ein Geistiges, weil außer aller Zeit, ein Ewiges ist, was dieses Unbekannte sein könne, wenn es nicht etwa Gott ist, ist schwer zu sagen. Als Gott aber es zu bestimmen, ist Kant weit entfernt, denn er nennt den Idealismus des Berkeley, der die ganze Sinnenwelt für eine durch göttliche Einwirkung auf unser Vorstellungsvermögen erzeugte Vorspiegelung erklärt – diesen Idealismus,[101] der wenigstens noch zu denken ist, nennt Kant schwärmerisch. Mag er dies sein, aber das Schwärmerische selbst, wenn nur noch etwas bei ihm zu denken ist, ist philosophisch besser, als was in einem völligen Nichtgedanken oder Ungedanken endigt, wie Kants Theorie der sinnlichen Anschauung, die mit zwei reinen Unbegreiflichkeiten endigt, nämlich mit der unbegreiflichen Einrichtung des Vorstellenden in uns, das genötigt ist, das, was an sich außer allem Raum und außer aller Zeit ist, im Raum und in der Zeit vorzustellen, und mit jenem ebenso unbegreiflichen Außer-uns, von dem wir nicht wissen, weder was es ist, noch wie es auf uns wirkt, und welche Notwendigkeit oder welches Interesse es hat, auf uns zu wirken und uns zur Vorstellung einer Sinnenwelt zu veranlassen.

Kant geht jedoch nun von der Sinnlichkeit weiter zu der zweiten erkennenden oder Erkenntnis bestimmenden Fakultät in uns – dem Verstand. Er bemerkt, daß das sinnlich Wahrgenommene für uns nicht bloß notwendig im Raum und Zeit ist, daß wir, sowie es erkannt wird – sowie es sich zum Gegenstand des Urteils für uns erhebt –, daß wir alsdann ebensowohl genötigt sind, ihm gewisse Verstandesbestimmungen beizulegen, z.B. es als Substanz oder als Akzidenz, als Ursache oder als Wirkung, als Eins oder als Vieles usf. zu bestimmen. Alle diese Bestimmungen sind nun nicht mehr bloß Formen des Anschauens, sie sind Bestimmungen des Denkens, Begriffe – Begriffe des reinen Verstandes. Und dennoch ist unsere Meinung, daß diese Begriffe in den vorgestellten Gegenständen selbst seien, daß unser Urteil, dies oder jenes sei Substanz oder sei Ursache, nicht ein bloß subjektives, sondern ein objektiv gültiges ist und die Dinge so wenig ohne diese Begriffe gedacht als z.B. ohne den Raum angeschaut werden können. Dennoch – weil jene Bestimmungen Begriffe sind, die nur in einem Verstande sich denken lassen, so – sollte man meinen, beweisen sie einen unabhängig von uns in den Dingen selbst gegenwärtigen Verstand – aber Kant schließt nicht auf diese Weise, sondern – so können sie nur von den vorgestellten Gegenständen als solchen,[102] nicht aber über diese hinaus, d.h. auch vom Ding an sich, gelten; sie sind nicht anwendbar auf jenes Unbekannte, das den letzten Grund unserer Vorstellungen enthält. Dieses Unbekannte ist aber gerade das in letzter Instanz Erklärende, um das es uns also vorzugsweise zu tun sein muß. Fragen wir nun, was das noch sein könne, das nicht im Raum, nicht in der Zeit, das nicht Substanz, nicht Akzidenz, nicht Ursache, nicht Wirkung ist, so werden wir gestehen müssen, daß jenes Unbekannte nicht mehr = x, wie Kant es bezeichnet (= die unbekannte Größe einer mathematischen Formel), sondern daß es = 0, daß es uns zum völligen Nichts geworden ist. Da ihm also jenes außer der Erfahrung Vorausgesetzte (denn unter Erfahrung versteht Kant nicht die bloße Anschauung, sondern die durch jene Verstandesbegriffe bestimmte und so zur Erkenntnis erhobene Anschauung) – indem ihm jenes außer aller Erfahrung Vorausgesetzte eben damit zugleich völlig zu nichts wird, sehen wir, daß Kant uns am Ende eben wieder dahin bringt, wo wir zuvor waren, zu der völlig unerklärten Erfahrung. Dennoch hat Kant das Verdienst, die Allgemeinheit und Notwendigkeit in unserer Erkenntnis, ohne welche es gar keine Gewißheit mehr geben würde, erhalten, wenn auch nicht erklärt zu haben. Selbst des sinnlichen Phänomens kann ich nicht gewiß sein, wenn nicht in meinem Geiste ein notwendiges Prinzip sich findet, das mir ihre Gültigkeit versichert. Man käme am Ende darauf es ist unmöglich, daß ich das, was ich empfinde, nicht empfinde.

Kants Kritik ist aber vorzüglich durch die Behauptung berühmt geworden, daß die Verstandesbegriffe (oder, wie er mit dem von Aristoteles entlehnten Wort sie nennt, die Kategorien) auf das Übersinnliche nicht anwendbar seien; damit glaubt Kant aller Metaphysik, inwiefern sie auf eine Erkenntnis des Übersinnlichen geht, ein Ende gemacht zu haben. Allein er hat hierin mehr getan, als er wollte. Denn wenn es mit jener Nichtanwendbarkeit der Verstandesbegriffe auf das Übersinnliche seine Richtigkeit hat, so folgt, daß das Übersinnliche nicht nur nicht zu erkennen, sondern[103] daß es auch nicht einmal zu denken ist. Dadurch gerät aber Kant in einen Widerspruch mit sich selbst. Denn wenigstens die Existenz des Übersinnlichen leugnet ja er selbst nicht und setzt es bei seiner Konstruktion der Erfahrung selbst voraus. Denn was ist doch eigentlich jenes Ding an sich, wie er es nennt? Ist es nicht auch ein Übersinnliches? Zum wenigsten ist es doch ein Außer- und Unsinnliches. Als solches kann es aber nur zweierlei sein, entweder etwas, das über oder das unter der sinnlichen Erfahrung ist. Unter der sinnlichen Erfahrung wäre es, wenn es als bloßes Hypokeimenon, bloßes Substrat, als reine Materie ohne alle aktuelle Eigenschaft (die es erst in der sinnlichen Anschauung erhält) gedacht würde. Der Begriff Substrat ist aber von dem Begriff Substanz nicht verschieden. Da hat er also etwas außer der sinnlichen Erfahrung Liegendes, das er genötigt ist als Substanz zu bestimmen. Oder will er es als Übersinnliches denken. Hier würde sich zuerst fragen: wie dieses Übersinnliche sich von dem Übersinnlichen der anderen Art, das Kant immer wenigstens als Gegenstand unseres Erkenntnisbestrebens darstellt, wenn er gleich leugnet, daß es wirklich erkannt zu werden vermöge, wie es sich zu jenem Übersinnlichen, das Kant in Gott, in der menschlichen Seele, in der Freiheit des Willens usw. erkennt, wie es sich zu diesem verhalte. Nichts ist auffallender, als daß Kant bei dem gerühmten kritischen Verfahren doch nie auf diese naheliegende und sich aufdringende Frage geraten ist: wie sich denn das eine Außersinnliche oder bloß Intelligible zu dem andern, dem eigentlich Übersinnlichen, verhalte, daß er diese beiden ruhig nebeneinander stehen läßt, ohne sie irgendwie entweder zu unterscheiden oder miteinander in Verbindung zu bringen.

Kant selbst nennt das sogenannte Ding an sich (was nach seinen eignen Begriffen ein wahres hölzernes Eisen ist, denn inwiefern es Ding [Objekt] ist, ist es nicht an sich, und wenn es an sich ist, ist es nicht Ding), aber er selbst erklärt dieses Ding an sich als den intelligiblen Grund unserer Vorstellungen. Das Wort Grund läßt nun freilich auch[104] eine bloß logische Bedeutung und demnach ein bloß logisches Verhältnis jenes Intelligiblen zu unserer Vorstellung zu. Allein da er der wirklichen Vorstellung einen Eindruck auf die Sinne vorausgehen läßt, dieser Eindruck aber nicht von dem schon Vorgestellten, also nicht von dem schon mit den Formen der reinen Sinnlichkeit und mit der Form des Verstandes bekleideten Objekt, sondern nur von dem Ding außer und über aller Vorstellung herkommen kann, so muß er den Eindruck von jenem Intelligiblen herleiten, dieses Intelligible zur causa efficiens unserer Vorstellung machen, d.h. es selbst als Ursache (vermöge eines Verstandesbegriffs) bestimmen; wobei noch das Merkwürdige sich ereignet, daß er diesem Intelligiblen, diesem Noumenon, wie er es nennt, kein unmittelbares Verhältnis zur Intelligenz, zum Nus, zum eigentlich erkennenden Vermögen, sondern zu unseren bloß materiellen Sinnen oder zu den körperlichen Sinnesorganen zugesteht. Wenn jener intelligible Grund, den Kant das Ding an sich nennt, eigentlich die bloße Materie, den Stoff zu unsern Vorstellungen hergibt, welcher dann erst in der transzendentalen Synthesis der Apperzeption, wie Kant diese Operation nennt, auf jeden Fall also erst in dem Subjekt jenes Gepräge des Verstandes annimmt, welches wir in ihm voraussetzen müssen, wenn er Gegenstand eines objektiven Urteils sein soll, so fragt es sich, 1. wie jener intelligible Grund an das Subjekt komme, auf dasselbe wirke, 2. wie sich dieser Stoff so willig der Verstandesform füge, 3. woher dem Subjekt diese Gewalt über den Stoff komme. Diese Fragen sind in der Kantschen Kritik nicht beantwortet, ja nicht einmal aufgeworfen.

Zwei Forderungen werden an die Philosophie gemacht: erstens, die Genesis der Natur zu erklären, sei es nun, daß man diese als etwas objektiv, auch außer unsern Vorstellungen, so wie wir sie vorstellen, Seiendes, oder daß man sie idealistisch als bloß in unserer Vorstellung so existierend annehme. Hier muß nämlich wenigstens gezeigt werden, durch welchen – und zwar notwendigen – Prozeß unseres Innern wir genötigt sind, eine solche Welt mit[105] diesen Bestimmungen und mit solchen Abstufungen uns vorzustellen. Kant hat diese Forderung umgangen. Die zweite Forderung, welche an die Philosophie gemacht wird, ist, jene eigentlich metaphysische Welt, die übersinnliche Region, wohin Gott, Seele, Freiheit, Unsterblichkeit gehören, uns aufzuschließen. Gegen diesen höheren Teil der Philosophie hat nun Kant ein eigentümliches Verhältnis. Wie schon bemerkt, will er in Ansehung dieses Metaphysischen eigentlich dasselbe, was die hergebrachte Metaphysik vor ihm gewollt hatte. Wenn es eine wahre Metaphysik gäbe (diese Meinung gibt Kant überall zu erkennen), so müßt; sie Gott als freien Urheber der Welt, sie müßte die moralische Freiheit des Menschen neben dem unverbrüchlichen Kausalnexus in der Natur und die Unsterblichkeit des menschlichen Wesens dartun. Dabei setzt aber Kant keine andern Mittel zur Erreichung dieses Zwecks voraus, als welche auch die frühere Metaphysik gekannt hat. Seine Kritik bezieht sich so sehr bloß auf diese, daß man wohl sieht, es ist ihm nie auch nur eingefallen, daß es außer dieser eine andere geben könnte. Ja sogar nur auf eine bestimmte Form dieser Metaphysik bezieht sich Kants Kritik, auf die nämlich, welche sie zufällig gerade zur Zeit seiner Jugend durch Christian Wolff, und noch mehr durch Alexander Baumgarten (Kants Lehrer, unter den Wolffianern noch immer einer der besten Köpfe) angenommen hatte. Kant ignoriert alles, was über den subjektiven Rationalismus jener Metaphysik hinausgeht. Insofern ist seine Kritik von keiner Anwendung z.B. auf Spinozismus. Kant sagt zwar: der Begriff einer Substanz kann und darf auf übersinnliche Gegenstände, also auf Gott nicht angewendet werden. Dies kann gegen den Spinozismus gesagt scheinen, allein dieser Grund trifft den Spinoza nicht, weil dieser eben Gott nicht als ein im Sinne Kants und jenes subjektiven Rationalismus Übersinnliches denkt. Gott ist dem Spinoza nur die unmittelbare Substanz des sinnlichen wie alles anderen Seins. Kant müßte also erst beweisen, daß Gott notwendig ein in seinem Sinn Übersinnliches sei, dies beweist er aber nicht, sondern[106] setzt es bloß aus der allgemeinen Lehre oder der vor ihm angenommenen Metaphysik voraus. Indem er also die Unzulänglichkeit der gewöhnlichen metaphysischen Beweise, z.B. in bezug auf das Dasein Gottes, Unzerstörlichkeit und Unsterblichkeit der menschlichen Seele dargetan hat, glaubt er über alle wissenschaftliche Metaphysik den Stab gebrochen; das letzte Resultat seiner anstrengungsvollen Kritik ist, daß keine wirkliche Erkenntnis des Übersinnlichen möglich sei. Die eigentlichen metaphysischen Gegenstände sind ihm bloße Vernunftideen, die, wie er sagt, in keiner möglichen Erfahrung vorkommen können. Aber in dieser Allgemeinheit und Unbestimmtheit, wie dies behauptet wird, ist es noch keineswegs ausgemacht, daß Gott kein Gegenstand der Erfahrung sei oder sein könne. Freilich nicht der Erfahrung, die er allein so nennt; allein er selbst statuiert doch außer der Erfahrung durch die äußeren Sinne auch eine innere Erfahrung; ferner sagt er zwar: wirkliche Erfahrung sei nur in jenem Zusammentreffen der außer uns liegenden intelligiblen Ursache der Materie unserer Vorstellungen und unseres (ebenfalls intelligiblen) Subjekts, das durch seine Natur genötigt ist, ihr die Formen des Verstandes aufzudrücken. Insofern ist also jenes Intelligible selbst einer der Faktoren unserer Erkenntnis und scheint eben darum selbst nicht Gegenstand der Erkenntnis sein zu können. Gegenstand der Erkenntnis ist immer nur das Erzeugnis dieser beiden Faktoren. Allein eben weil jenes Intelligible einer der Faktoren aller Erkenntnis ist, so ist es als eine Voraussetzung aller wirklichen Erkenntnis ein gegen diese als notwendig Erscheinendes, während die Erkenntnis als solche gegen diese Voraussetzung derselben als ein Zufälliges erscheint. Zugegeben also, es folge aus dieser Ansicht, daß jenes Intelligible nicht Gegenstand einer wirklichen Erkenntnis sein könne, so zeigt es sich doch als Gegenstand eines notwendigen Denkens, und mehr als dieses – mehr, als daß z.B. Gott Gegenstand eines notwendigen Denkens sei, hat auch die alte Metaphysik nicht gewollt. Allein es verhält sich mit der Kantschen Kritik wirklich so, wie schon gesagt[107] worden, daß sie genau genommen nicht bloß die Erkenntnis, sondern daß sie alles Denken des Übersinnlichen aufhebt und unmöglich macht, indem sie nämlich, wie sie sich ausdrückt, alle Anwendung der Verstandesbegriffe auf dasselbe verbietet. Nun führt aber bekanntlich Kant selbst, nachdem er Gott aus der theoretischen Philosophie verwiesen, ihn dennoch durch die praktische wieder zurück, indem er wenigstens den Glauben an die Existenz Gottes als einen durch das Sittengesetz geforderten darstellt. Ist nun dieser Glaube nicht ein völlig gedankenloser, so ist Gott hier wenigstens gedacht. Nun möchte ich wissen, wie es Kant anfängt, Gott zu denken, ohne ihn als Substanz sich zu denken, freilich nicht als Substanz im Sinn des Spinoza, als id quod substat rebus, aber unstreitig denkt er Gott als absolut geistige und sittliche Persönlichkeit. Nun ist freilich in dem Begriff einer solchen Persönlichkeit mehr enthalten als in dem Begriff der Substanz. Gott ist insofern nicht bloße Substanz; wie z.B. auch ein Mensch dadurch nicht hinlänglich charakterisiert ist, daß man sagt, er sei eine Substanz. Aber ist er darum überall nicht Substanz? Ebensowenig sehe ich ein, was noch von dem Begriff Gottes übrigbleibt, wenn ich ihn nicht als Ursache denken darf. Kant hat also durch seine Kritik über sein eignes Ziel hinausgeschossen.

Wenn nun nach dem bisher Gezeigten das materielle Resultat der Kantischen Kritik zuletzt und im Grunde ein so leeres und nichtiges ist, worauf beruht das dennoch unleugbar Große und Außerordentliche seiner Wirkung, wodurch verdient er gleichwohl ein Instaurator der Philosophie genannt zu werden? Man könnte zunächst verschiedenes anführen. 1. Schon dadurch wirkte Kant wohltätig, daß er nur überhaupt wieder methodisch und mit Ernst zu Werke ging und dadurch jener philosophischen Anarchie, die ihm voranging – ich meine damit nicht die äußere, daß in jener Zeit kein herrschendes Haupt in der Philosophie gewesen, sondern die innere Anarchie – die völlige Prinzipienlosigkeit (archê, woher anarchia kommt, heißt bekanntlich Prinzip), daß er also dieser völligen[108] Prinzipienlosigkeit der Philosophie ein Ende machte; 2. daß, wenn er jene tieferen Fragen, die sich hauptsächlich auf den intelligiblen Grund alles erkennbaren Seins bezogen – wenn nicht beantwortete, ja nicht einmal aufwarf, daß er sie wenigstens unvermeidlich anregte, insbesondere aber, wie schon bemerkt worden, daß er die Allgemeinheit und Notwendigkeit in der menschlichen Erkenntnis gegen einen zerstörenden Skeptizismus und Sensualismus behauptete. Allein in allem diesem ist die eigentliche historische Wirkung Kants nicht zu suchen – das, wodurch er bestimmend war für die Folge der deutschen Philosophie. Diese Wirkung war vielmehr dadurch veranlaßt, daß er ihr die Richtung auf das Subjektive gab, die sie durch Spinoza völlig verloren hatte; denn das Eigentümliche des Spinoza ist eben die Substanz, die bloß Objekt, subjektlos ist, die als Subjekt sich völlig vernichtet hat. Zwar eine gewisse Ängstlichkeit, die Kant nicht überwinden konnte, und die noch vermehrt wurde, weil man seiner Philosophie gleich mit allen möglichen gehässigen Prädikaten entgegenkam, hatte ihn bewogen, Stellen in der ersten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft, in welchen er sich sogar beinahe als Idealist erklärt hatte, in den späteren Ausgaben mit andern zu vertauschen, in denen er scheinbar den Idealismus widerlegte. Aber der Weg zum Idealismus war dennoch gebahnt, das Ding an sich ein zu unbestimmtes, ja nichtiges (denn alles, was das Objekt zum Ding, zum Wirklichen macht, kam vom Subjekt), als daß es hätte bestehen können, und so war denn der nächste Schritt unstreitig der daß das Subjekt, das Ich allein übrigblieb. Dieser Schritt ist durch Fichte geschehen, welcher geradezu aussprach: das Ich, nämlich eines jeden Ich, ist die einzige Substanz.

Fichte faßt nicht etwa das Ich als allgemeines oder absolutes, sondern nur als menschliches Ich auf. Das Ich, als das sich ein jeder in seinem Bewußtsein findet, ist das einzige wahrhaft Daseiende. Alles ist für jeden nur mit seinem Ich und in seinem Ich gesetzt. Für jeden Menschen ist mit jenem transzendentalen, d.h. mit jenem das empirische Bewußtsein selbst erst bedingenden und ihm daher vorausgehenden[109] Akt, mit diesem Aktus des Selbstbewußtseins ist für jeden Menschen das ganze Universum zumal gesetzt, das eben darum nur im Bewußtsein da ist. Mit dieser Selbstsetzung: Ich bin, beginnt für jedes Individuum die Welt, dieser Akt ist in einem jeden der gleich ewige, zeitlose Anfang seiner selbst sowohl als der Welt. Jeder Mensch fängt gleichsam ewiger Weise (modo aeterno) an, mit ihm ist für seine Vorstellung seine ganze Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesetzt. Wenn aber Fichte glauben konnte, den Schwierigkeiten, denen der philosophische Geist unter Voraussetzung des objektiven Daseins der Dinge bei Erklärung der Welt begegnet, dadurch entgangen zu sein, daß er die ganze Erklärung in das Ich verlegte, so mußte er nur um so mehr sich verbunden erkennen, ausführlich zu zeigen, wie mit dem bloßen Ich bin für einen jeden die ganze sogenannte Außenwelt mit allen ihren sowohl notwendigen als zufälligen Bestimmungen gesetzt sei. Er hätte die außer dem unmittelbaren Bewußtsein gesetzten Dinge wenigstens als Durchgangspunkte, als Vermittlungen jenes Aktes der Selbstsetzung nachweisen können. Allein es ist, als ob Fichte in der Außenwelt gar keine Unterschiede wahrgenommen hätte. Die Natur ist ihm in dem abstrakten, eine bloße Schranke bezeichnenden Begriff des Nicht-Ich, des völlig leeren Objekts, an dem gar nichts wahrzunehmen ist, als daß es eben dem Subjekt entgegengesetzt ist – die ganze Natur ist ihm in diesem Begriff so zusammengeschwunden, daß er eine Deduktion, die weiter als dieser Begriff sich erstreckte, nicht für nötig hielt. Am Ende war in Kants Kritik mehr Objektivität als in Fichtes Wissenschaftslehre. Denn Kant ließ sich bei der unternommenen Kritik, bei der Ausmessung des Erkenntnisvermögens, unbedenklich von der Erfahrung leiten, bei Fichte war es doch nur seine, also eine zufällige Reflexion, die alle Kosten der Fortschreitung bestritt.

Nach Fichte also war alles nur durch das Ich und für das Ich. Fichte hatte damit die Selbständigkeit oder die Autonomie, welche Kant dem menschlichen Selbst für[110] seine moralische Selbstbestimmung zuschrieb, zur theoretischen erweitert, oder dieselbe Autonomie dem menschlichen Ich auch für seine Vorstellungen von der Außenwelt vindiziert. Jener Satz: Alles ist nur durch das Ich und für das Ich, schmeichelt daher anfänglich zwar dem menschlichen Selbstgefühl und scheint dem inneren Menschen die letzte Unabhängigkeit von allem Äußeren zu geben. Aber näher betrachtet hat er etwas Thrasonisches oder Großsprecherisches, solang nicht gezeigt ist, wie, auf welche Weise dies alles, was wir als existierend anerkennen müssen, durch das Ich und für das Ich ist. Die Meinung dieses subjektiven Idealismus selbst konnte nicht sein, daß das Ich die Dinge außer sich frei und mit Wollen setzte; denn nur zu vieles ist, das das Ich ganz anders wollte, wenn das äußere Sein von ihm abhinge. Der unbedingteste Idealist kann nicht vermeiden, das Ich, was seine Vorstellungen von der Außenwelt betrifft, als abhängig zu denken – wenn auch nicht von einem Ding an sich, wie es Kant nannte, oder überhaupt von einer Ursache außer ihm selbst, aber doch wenigstens abhängig von einer inneren Notwendigkeit, und wenn er dem Ich ein Produzieren jener Vorstellungen zuschreibt, so muß dieses wenigstens ein blindes, nicht in dem Willen, sondern in der Natur des Ich gegründetes Produzieren sein. Um dies alles zeigte sich nun Fichte unbekümmert, er gab sich gegen die gesamte Notwendigkeit mehr das Verhältnis eines unwillig sie Negierenden als eines sie Erklärenden. Angewiesen nun, die Philosophie da aufzunehmen, wo sie Fichte hingestellt hatte, mußte ich vor allem sehen, wie jene unleugbare und unabweisliche Notwendigkeit die Fichte gleichsam nur mit Worten hinwegzuschelten sucht, mit den Fichteschen Begriffen, also mit der behaupteten absoluten Substanz des Ich sich vereinigen ließe. Hier ergab sich nun aber sogleich, daß freilich die Außenwelt für mich nur da ist, inwiefern ich zugleich selbst da und mir bewußt bin (dies versteht sich von selbst), aber daß auch umgekehrt, sowie ich für mich selbst da, ich mir bewußt bin, daß, mit dem ausgesprochenen Ich bin,[111] ich auch die Welt als bereits – da – seiend finde, also daß auf keinen Fall das schon bewußte Ich die Welt produzieren kann. Nichts verhinderte aber, mit diesem jetzt in mir sich-bewußten Ich auf einen Moment zurückzugehen, wo es seiner noch nicht bewußt war – eine Region jenseits des jetzt vorhandenen Bewußtseins anzunehmen und eine Tätigkeit, die nicht mehr selbst, sondern nur durch ihr Resultat in das Bewußtsein kommt. Diese Tätigkeit konnte nun keine andere sein als eben die Arbeit des Zu-sich-selbst-Kommens, des sich Bewußtwerdens selbst, wo es denn natürlich ist und nicht anders sein kann, als daß diese Tätigkeit mit dem erlangten Bewußtsein aufhört und bloß ihr Resultat stehenbleibt. Dieses bloße Resultat, in welchem sie dem Bewußtsein stehenbleibt, ist dann eben die Außenwelt, der sich eben darum das Ich nicht als einer von ihm selbst produzierten, sondern nur als einer zugleich mit ihm daseienden bewußt sein kann. Ich suchte also mit einem Wort den unzerreißbaren Zusammenhang des Ich mit einer von ihm notwendig vorgestellten Außenwelt durch eine dem wirklichen oder empirischen Bewußtsein vorausgehende transzendentale Vergangenheit dieses Ich zu erklären, eine Erklärung, die sonach auf eine transzendentale Geschichte des Ichs führte. Und so verriet sich schon durch meine ersten Schritte in der Philosophie die Tendenz zum Geschichtlichen wenigstens in der Form des sich selbst bewußten, zu sich selbst gekommenen Ich. Denn das Ich bin ist eben nur der Ausdruck des Zu-sich-Kommens selber – also dieses Zu-sich-Kommen, das im Ich bin sich ausspricht, setzt ein Außer– und Vonsich-Gewesensein voraus. Denn nur das kann zu sich kommen, was zuvor Außer sich war. Der erste Zustand des Ichs ist also ein außer-sich-Sein. Hierbei ist nur noch zu bemerken (und dies ist ein sehr wesentlicher Punkt), daß das Ich, inwiefern es jenseits des Bewußtseins gedacht wird, eben darum noch nicht das individuelle ist, denn zum individuellen bestimmt es sich eben erst im Zu-sich-Kommen, also das jenseits des Bewußtseins oder des ausgesprochenen Ich bin gedachte Ich ist für alle menschlichen[112] Individuen das gleiche und selbe, es wird in jedem erst sein Ich, sein individuelles Ich, indem es eben in ihm zu sich kommt. Daraus, daß das jenseits des Bewußtseins gedachte für alle Individuen dasselbe ist, daß hier das Individuum noch nicht mitwirkt, daraus erklärt sich alsdann, warum ich für meine Vorstellung von der Außenwelt unbedingt, und ohne selbst erst eine Erfahrung darüber gemacht zu haben, auf die Übereinstimmung aller menschlichen Individuen zähle (das Kind schon, das mir einen Gegenstand zeigt, setzt voraus, daß dieser Gegenstand ebensowohl für mich als für es existieren müsse). Allerdings nun indem das Ich zum individuellen wird – was eben durch das Ich bin sich ankündigt – angekommen also bei dem Ich bin, womit sein individuelles Leben beginnt, erinnert es sich nicht mehr des Wegs, den es bis dahin zurückgelegt hat, denn da das Ende dieses Wegs eben erst das Bewußtsein ist, so hat es (das jetzt individuelle) den Weg zum Bewußtsein selbst bewußtlos und ohne es zu wissen zurückgelegt. Hier erklärt sich die Blindheit und Notwendigkeit seiner Vorstellungen von der Außenwelt, wie dort die Gleichheit und Allgemeinheit derselben in allen Individuen. Das individuelle Ich findet in seinem Bewußtsein nur noch gleichsam die Monumente, die Denkmäler jenes Wegs, nicht den Weg selbst. Aber eben darum ist es nun Sache der Wissenschaft, und zwar der Urwissenschaft, der Philosophie, jenes Ich des Bewußtseins mit Bewußtsein zu sich selbst, d.h. ins Bewußtsein, kommen zu lassen. Oder: die Aufgabe der Wissenschaft ist, daß jenes Ich des Bewußtseins den ganzen Weg von dem Anfang seines Außersichseins bis zu dem höchsten Bewußtsein – selbst mit Bewußtsein zurücklege. Die Philosophie ist insofern für das Ich nichts anderes als eine Anamnese, Erinnerung dessen, was es in seinem allgemeinen (seinem vorindividuellen) Sein getan und gelitten hat: ein Ergebnis, das mit bekannten Platonischen Ansichten (wenngleich diese zum Teil einen andern Sinn und nicht ohne eine gewisse Zutat von Schwärmerischem verstanden waren) übereinstimmte.[113]

Dies war also der Weg, den ich zuerst und noch eben von Fichte herkommend, einschlug, um meinerseits wieder ins Objektive zu kommen, und leicht begreiflich konnte es dieser Wendung des Fichteschen Begriffs, wodurch dieser eigentlich erst verständlich und die Haupteinwendung gegen denselben entfernt wurde, bei ihrem ersten Hervortreten nicht an Beifall fehlen. Es war ein Versuch, den Fichteschen Idealismus mit der Wirklichkeit auszusöhnen oder zu zeigen, wie gleichwohl, auch unter Voraussetzung des Fichteschen Satzes, daß alles nur durch das Ich und für das Ich ist, die objektive Welt begreiflich sei.

So wenig habe ich mich beeilt, ein eigenes System aufzustellen, daß ich mich begnügt, wie es auch meiner damaligen Jugend geziemte, vorerst nur das Fichtesche System begreiflich zu machen, in Hoffnung, Fichte selbst werde diesen seinem System gegebenen Sinn billigen, was freilich nachher sich anders gefunden. Mir war es nicht um ein System zu tun, dessen ich mich als eines eignen rühmen konnte, sondern nur um ein solches, das mich selbst befriedigte. Auch war ich nicht in dem Fall, wie so manche, die, zumal nach der großen Anregung durch Kant und Fichte, sich auf die Philosophie warfen, lediglich weil sie nichts anderes gelernt hatten und weil sie meinten, in der Philosophie sei noch am ehesten ohne Kenntnisse auszukommen; ich hatte noch mehr als eine Region menschlicher Forschung, in der ich zu meiner eigenen Befriedigung mich ergehen konnte und zu der mich meine frühesten Neigungen hinzogen. – – Also ich wollte damals nur Fichtes System erklären, ob ich gleich nie Fichtes Zuhörer gewesen, was ich rein bloß als historische Berichtigung bemerke, nicht etwa, um mich des Danks gegen Fichte zu entledigen oder ihn als Lehrer und Vorgänger zu verleugnen, denn er war mir dies, wie er es allen gewesen ist, inwiefern er zuerst das Wort einer auf Freiheit gegründeten Philosophie aussprach, auf die Selbständigkeit des Ich nicht bloß, wie Kant, die praktische, sondern ebensowohl die theoretische, und demnach die ganze Philosophie begründete – ich suchte also damals zuerst nur zu[114] zeigen, wie man sich mit dem menschlichen Ich alles gesetzt denken könne. Diese Ausführung des Fichteschen Idealismus ist enthalten in meinem anno 1800 erschienenen System des transzendentalen Idealismus. Ist einer unter Ihnen, der jetzt oder in der Zukunft den allmählichen Entwicklungsgang der neueren Philosophie genau und urkundlich kennenlernen will, so kann ich nicht anders, als ihm dieses System des transzendentalen Idealismus zum Studium empfehlen; er wird darin unter der Hülle des Fichteschen Gedankens schon das neue System erkennen, das früher oder später diese Hülle durchbrechen mußte, er wird in diesem Werk schon jene Methode in voller Anwendung finden, die später nur in größerem Umfang gebraucht wurde; indem er diese Methode, welche nachher die Seele des von Fichte unabhängigen Systems geworden ist, hier schon findet, wird er sich überzeugen, daß diese gerade das mir Eigentümliche, ja dergestalt Natürliche war, daß ich mich derselben fast nicht als einer Erfindung rühmen kann, aber eben darum kann ich sie auch am wenigsten mir rauben lassen oder zugeben, daß ein anderer sich rühme, sie erfunden zu haben. Ich sage dies nicht, mich zu rühmen, sondern ganz allein, weil man die Pflicht hat, der Unwahrheit überhaupt, zumal wenn sie durch Schweigen beglaubigt wird, entgegenzutreten2.

Die Aufgabe, die ich mir zuerst gesetzt, war also: die von unserer Freiheit schlechterdings unabhängige, ja diese Freiheit beschränkende Vorstellung einer objektiven Welt durch einen Prozeß zu erklären, in welchem sich das Ich eben durch den Akt des Selbstsetzens unbeabsichtigter, aber notwendiger Weise verwickelt sieht. Indem nämlich das Ich sich selbst zum Gegenstand macht, kann es nicht umhin, sich selbst anzuziehen (in dem Sinn, wie man sagt: ich ziehe mir dieses oder jenes nicht an – ich ignoriere es), und es konnte sich selbst nicht anziehen, ohne sich dadurch zu begrenzen, seine an sich ins Unendliche strebende Tätigkeit[115] zu hemmen, sich selbst, das zuvor lautere Freiheit und als nichts war, für sich selbst zu etwas, also zu einem Beschränkten, zu machen. Die Schranke, welche Fichte außer das Ich fallen ließ, fiel auf diese Art in das Ich selbst, und der Prozeß wurde ein völlig immanenter, in welchem das Ich nur mit sich selbst, mit dem eignen, in sich gesetzten Widerspruch, zugleich Subjekt und Objekt, endlich und unendlich zu sein, beschäftigt war. Das Ich hatte nämlich, indem es sich selbst Objekt wurde, sich zwar gefunden, aber nicht als das Einfache, das es zuvor war, sondern als ein Doppeltes, als Subjekt und Objekt zugleich, – es war nun für sich selbst, hatte aber eben damit aufgehört an sich zu sein: diese in ihm gesetzte Zufälligkeit mußte überwunden werden, die Momente dieser sukzessiven Überwindung wurden als identisch nachgewiesen mit den Momenten der Natur, und dieser Prozeß wurde von Stufe zu Stufe, von Moment zu Moment fortgeführt bis zu dem Punkt, wo das Ich aus der Beschränkung wieder in die Freiheit durchbrach und nun erst sich wirklich hatte, oder für sich selbst war, wie es an sich war – als lautere Freiheit. Damit war die theoretische Philosophie geschlossen, und es begann die praktische. Zuerst in der Philosophie hatte ich hier die geschichtliche Entwicklung versucht – die ganze Philosophie war mir Geschichte des Selbstbewußtseins, die ich förmlich in Epochen abteilte, z.B. erste Epoche von der ursprünglichen Empfindung (der durch die Selbstobjektivierung im Ich gesetzten Begrenztheit) bis zur produktiven Anschauung. Das Instrument war jedoch zu beschränkt, um die ganze Melodie darauf ausführen zu können. – Das Prinzip des Fortschreitens oder die Methode beruht auf der Unterscheidung des sich entwickelnden oder mit der Erzeugung des Selbstbewußtseins beschäftigten Ichs und des auf dieses reflektierenden, gleichsam ihm zuschauenden, also philosophierenden Ichs. Durch jeden Moment war in das objektive Ich eine Bestimmung gesetzt, aber diese Bestimmung war nur für den Zuschauer in ihm gesetzt, nicht für es selbst. Der Fortschritt bestand also jederzeit darin, daß,[116] was im vorhergehenden Moment im Ich bloß für den Philosophierenden gesetzt war, im Folgenden dem Ich selbst objektiv – für das Ich selbst in ihm gesetzt wurde, und daß auf diese Art zuletzt das objektive Ich selbst auf den Standpunkt des Philosophierenden gebracht war oder das objektive Ich dem philosophierenden, insofern subjektiven, völlig gleich wurde; der Moment, in welchem diese Gleichheit eintrat, wo also in dem objektiven Ich genau dasselbe gesetzt war, was im subjektiven, war der Schlußmoment der Philosophie, welcher sich damit zugleich ihres Endes bestimmt versichert hatte. Zwischen dem objektiven Ich und dem philosophierenden bestand ungefähr das Verhältnis wie in den Sokratischen Gesprächen zwischen dem Schüler und dem Meister. In dem objektiven Ich war jederzeit eingewickelter Weise mehr gesetzt, als es selbst wußte, die Tätigkeit des subjektiven, des philosophierenden Ich bestand nun darin, dem objektiven Ich selbst zu der Erkenntnis und dem Bewußtsein des in ihm Gesetzten zu verhelfen und es so endlich zur völligen Selbsterkenntnis zu bringen. Dieses Verfahren, wobei stets, was im vorhergehenden Moment bloß subjektiv gesetzt ist, im folgenden zum Objekt hinzutritt, hat auch in der folgenden, größeren Entwicklung ersprießliche Dienste geleistet.

Die Anfänge dieser Darstellung des Idealismus finden sich in den einzelnen Abhandlungen, die im ersten Teil meiner philosophischen Schriften wieder abgedruckt worden. Wer mir die Ehre erweisen will, den Gang meiner philosophischen Entwicklung zu beurteilen, und besonders wer das eigentlich heuristische Prinzip, das Prinzip der Erfindung, welches mich leitete, kennenlernen will, muß bis dahin zurückgehen.[117]

《Zur Geschichte der neueren Philosophie》读后感(四):Die Naturphilosophie

[118] Ich gehe nun über zur Darstellung des Systems, wie es in der völligen Unabhängigkeit von Fichte hervorgetreten ist. Hier war es also nicht mehr das endliche oder menschliche Ich, von dem ausgegangen wurde, sondern das unendliche Subjekt, nämlich 1. das Subjekt überhaupt, weil das allein unmittelbar Gewisse, aber 2. das unendliche Subjekt, d.h., das nie aufhören kann Subjekt zu sein, nie im Objekt untergehen, zum bloßen Objekt werden, wie es dem Spinoza durch einen Akt, dessen er selbst sich nicht bewußt ist, geschehen ist.

Das Subjekt, inwiefern es noch in seiner reinen Substantialität gedacht wird, insofern ist es noch frei von allem Sein, und obgleich nicht nichts, doch als nichts. Nicht nichts, weil doch Subjekt, als nichts, weil nicht Objekt, weil nicht im gegenständlichen Sein seiend. Aber es kann in dieser Abstraktion nicht bleiben, es ist ihm gleichsam natürlich, sich selbst als Etwas und demnach als Objekt zu wollen. Aber der Unterschied dieses Objektwerdens von dem, was auch der Spinozischen Substanz vorausgedacht werden muß, ist dieser, daß letzteres mit gänzlichem Verlust seiner selbst, also ganz und ohne Rückhalt übergeht in das Objekt und nur als solches (als Objekt) noch angetroffen wird, jenes Subjekt aber nicht blindes, sondern vielmehr unendliches Selbstsetzen ist, d.h. das im Objekt-Werden nicht aufhört Subjekt zu sein, unendliches also – nicht in dem bloß negativen Sinn, daß es nur nicht endlich ist oder gar nicht endlich werden könnte, sondern in dem positiven, daß es sich verendlichen (sich zu etwas machen) kann, aber aus jeder Endlichkeit siegreich, wieder als Subjekt, hervortritt, oder: daß es durch jedes Endlich-, Objekt-Werden sich nur wieder in eine höhere Potenz der Subjektivität erhebt.[118]

Aber eben darum, weil dies seine Natur ist, nie bloß Objekt sein zu können, sondern immer und notwendig zugleich Subjekt zu sein, so ist, die Bewegung einmal angefangen, oder ihren Anfang gesetzt – ist sie eine notwendig fortschreitende.

Der Anfang ist natürlich das erste sich zu etwas Machen das erste Objektiv-Werden; denn mit diesem war infolge der Unendlichkeit des Subjekts, nach welcher jedem Objektiv-Werden unmittelbar nur eine höhere Potenz der Subjektivität folgt – aus diesem Grunde also war mit dem ersten Objektiv-Werden der Grund aller folgenden Steigerung und damit der Bewegung selbst gelegt. Das Wichtigste ist daher die Erklärung dieses Anfangs, dieses ersten Etwas-sein. Dies wurde nun auf folgende Weise gedacht. Das Subjekt noch in seiner reinen Substantialität oder Wesentlichkeit, vor allem Aktus gedacht, ist, wie schon bemerkt, zwar nicht nichts, aber als nichts; dieses als drückt immer etwas über das Wesen Hinzukommendes aus und bezieht sich demnach auf das gegenständliche, auf das über das Wesen hinausgehende Sein; wenn also gesagt wird, das Subjekt oder Ich in seiner reinen Substantialität war als nichts, so drückt dies nichts anderes aus als die Negation alles gegenständlichen Seins. Dagegen wenn wir nun zuerst von ihm sagen: es ist als Etwas, so wird eben damit ausgedrückt, daß dieses Etwassein als Sein ein Akzessorisches, Hinzugekommenes, Zugezogenes, in gewissem Betracht Zufälliges ist. Das als bezeichnet hier eine Anziehung, eine Attraktion, ein angezogenes Sein. Zur Erläuterung! Es gibt gewisse moralische und andere Eigenschaften, die man gerade nur hat, inwiefern man sie nicht hat, oder wie die deutsche Sprache trefflich dies ausdrückt, inwiefern man sich dieselben nicht anzieht. Z.B. wahre Anmut ist gerade nur möglich im Nichtwissen ihrer selbst, dagegen eine Person, die um ihre Anmut weiß, sie sich anzieht, sogleich aufhört, anmutig zu sein, und wenn sie als anmutig sich gebärdet, vielmehr das Gegenteil wird. Ebenso ist es mit der Unbefangenheit. Das unbefangene Sein ist überall nur das, was sich[119] selbst nicht weiß; sowie es sich selbst Gegenstand wird, ist es auch schon ein befangenes. Wenden Sie diese Bemerkungen auf das Vorliegende an, so ist das Subjekt in seiner reinen Wesentlichkeit als nichts – eine völlige Bloßheit aller Eigenschaften – es ist bis jetzt nur Es selbst, und so weit eine völlige Freiheit von allem Sein und gegen alles Sein; aber es ist ihm unvermeidlich, sich sich selbst anzuziehen, denn nur dazu ist es Subjekt, daß es sich selbst Objekt werde, da vorausgesetzt wird, daß nichts außer ihm sei, das ihm Objekt werden könne; indem es sich aber sich selbst anzieht, ist es nicht mehr als nichts, sondern als Etwas – in dieser Selbstanziehung macht es sich zu etwas; in der Selbstanziehung also liegt der Ursprung des Etwas-Seins oder des objektiven, des gegenständlichen Seins überhaupt. Aber als das, was es Ist, kann sich das Subjekt nie habhaft werden, denn eben im sich-Anziehen wird es ein anderes, dies ist der Grund-Widerspruch, wir können sagen, das Unglück in allem Sein – denn entweder läßt es sich, so ist es als nichts, oder es zieht sich selbst an, so ist es ein anderes und sich selbst Ungleiches – nicht mehr das mit dem Sein wie zuvor Unbefangene, sondern das sich mit dem Sein befangen hat – es selbst empfindet dieses Sein als ein zugezogenes und demnach zufälliges. Bemerken Sie hier, daß demgemäß der erste Anfang ausdrücklich als ein Zufälliges gedacht wird. Das erste Seiende, dieses primum Existens, wie ich es genannt habe, ist also zugleich das erste Zufällige (Urzufall). Diese ganze Konstruktion fängt also mit der Entstehung des ersten Zufälligen – sich selbst Ungleichen –, sie fängt mit einer Dissonanz an und muß wohl so anfangen. Denn zuvor – vor der Zuziehung des Seins, in seinem an und vor sich Sein, war das Subjekt auch unendlich, aber inwiefern es die Endlichkeit noch vor sich hatte, aber eben darum ist es dort noch nicht als unendlich gesetzt; um sich als unendlich zu setzen, muß es von dieser Möglichkeit, auch das Endliche zu sein, sich gereinigt haben, also die Endlichkeit selbst wird ihm zum Mittel, sich als unendlich (d.h. als Freiheit vom Sein, denn ein anderer[120] Begriff wird mit dem Wort unendlich hier nicht verbunden) sich als unendlich zu setzen. Nur durch wirklichen Gegensatz konnte es in sein wahres Wesen erhöht werden, konnte es sich als Unendliches erreichen.

Ich will das letzte noch in einer anderen, obwohl völlig äquivalenten Wendung erklären.

Das Subjekt, das erst reines, sich selbst nicht gegenwärtiges Subjekt ist – indem es sich haben will, sich selbst Objekt wird, ist es mit einer Zufälligkeit behaftet (Zufälligkeit ist Gegensatz des Wesens). Aber dadurch ist es als Wesen nicht aufzuheben, denn es ist nicht bloß Wesen überhaupt, sondern unendlicher Weise. Jene Zufälligkeit wird ihm also nur Anlaß, in sein Wesen zurücktretend sich gegen jenes Zufällige als Wesen zu setzen, das es zuvor nicht war. An und vor sich war es Wesen (= Freiheit vom Sein), aber nicht als Wesen, denn es hatte jenen, daß ich so sage, verhängnisvollen Akt des sich selbst-Anziehens noch vor sich; es stand noch an jenem Abhang, von dem es sich selbst nicht zurückhalten kann. Denn entweder bleibt es stehen (bleibt, wie es ist, also reines Subjekt), so ist kein Leben, und es selbst ist als nichts, oder es will sich selbst, so wird es ein anderes, sich selbst Ungleiches, sui dissimile. Es will sich zwar als solches, aber dies eben ist unmittelbar unmöglich, im Wollen selbst schon wird es ein anderes und entstellt sich aber es ergibt sich darein, weil ihm doch nur versagt ist unmittelbar sich als Wesen zu setzen, jenes endliche oder befangene Sein – das allein unmittelbar mögliche – stellt sich ihm selbst gleich nur dar als Vermittlung seines als unendlich-, als Wesen-Seins; insofern kann es jenes Sein wollen, ob es gleich nicht das ist, was es eigentlich will. Dieses endliche Sein vermittelt ihm, sich in einer zweiten Stufe oder Potenz zu setzen – nun als Wesen. Dieses in der zweiten Potenz gesetzte Wesen ist, was das unanfängliche ist, mit dem einzigen Unterschied, daß es (ohne sein eigenes Zutun) gleich als Wesen gesetzt und demnach festgemacht ist. Nennen wir das Wesen oder reine Subjekt A, so ist das Subjekt vor allem Aktus nicht als A,[121] also ist es auch nicht so A, daß es nicht nicht-A oder = B sein könnte. Nun aber macht es sich selbst zu B in der Selbstanziehung, wo es ein anderes wird. Aber die Notwendigkeit seiner Natur ist, unendliches Subjekt, unendliches A zu sein, d.h. nicht Objekt sein zu können, ohne Subjekt zu sein. Es kann also nicht B sein, ohne uno eodemque actu als A zu sein, nicht sofern es B ist, wohl aber in einer andern Gestalt seines Wesens. In dieser ist es nicht mehr bloßes A, sondern als A, als A, weil jetzt die Möglichkeit, nicht-A zu sein, schon ausgeschlossen ist. Das als A gesetzte A ist aber nicht mehr das einfache A, sondern A, das A ist, nicht – ist und nicht ist, sondern entschieden ist. A, das A ist, ist das mit sich selbst duplizierte A (in der älteren Logik wurde diese Art des Setzens, wo A nicht simpliciter, sondern als A gesetzt wird, die reduplikative oder Reduplicatio genannt), also das als A gesetzte A ist nicht mehr einfaches, sondern dupliziertes A, das wir (nachdem der Begriff erklärt ist) der Kürze wegen wohl A2 nennen können, und wir hätten also nun auf der einen Seite A, das B geworden ist, auf der andern im Gegensatz und in der Spannung mit diesem – aber eben darum zugleich in der Erhöhung durch dieses – A2 (das in sich selbst erhöhte A, denn das heißt das als solches gesetzte A).

Auf diese Weise wären wir also aus der Einheit heraus und bis zur Zweiheit gelangt, mit welcher nun, wie Sie zum voraus begreifen, der Grund eines ferneren notwendigen Fortschritts schon gelegt ist. Doch eh' ich zu diesem fortgehe, habe ich noch erst die nähere und bestimmtere Bedeutung jenes Gegensatzes aufzuzeigen.

In dem nun als A gesetzten A, in dem A2, hat sich das A zum Höheren seiner selbst, inwiefern es B ist, erhoben. Notwendig und immer aber ist das Höhere zugleich das Begreifende und Erkennende des Niederen, was unmittelbar auch so einzusehen ist. Das absolute Subjekt, das als nichts ist, macht sich zu Etwas, zu einem gebundenen, beschränkten, befangenen Sein. Aber es ist das unendliche, d.h. das nie und in nichts untergehen könnende Subjekt,[122] und demzufolge, indem es etwas ist, ist es auch unmittelbar wieder das über sich selbst Hinausgehende, also das sich selbst in diesem Etwas-sein Begreifende, Erkennende. Als das etwas seiende ist es das Reale, als das Begreifende desselben das Ideale, hier treten also zuerst auch diese Begriffe (des Realen und des Idealen) in unsere Betrachtung ein. Wenn nun aber diese Geschichte des sich selbst setzenden, sich selbst in allen Bestimmungen seines Seins erzeugenden Subjekts eine wahre, eine wirkliche Geschichte ist, so muß sich dieses erste Etwas-sein des Subjekts, so wie das ihm Entgegengesetzte, worin es als Subjekt ist – jenes Reale und dieses Ideale, diese beiden ersten Potenzen des Selbstsetzens – der Selbstverwirklichung – müssen sich in der Wirklichkeit nachweisen lassen oder einen entsprechenden Ausdruck in der Wirklichkeit haben. Als jenes erste überhaupt Etwas-sein des zuvor freien und als nichts seienden Subjekts, als das mit sich selbst also befangene oder verfangene Subjekt, als dieses erste wurde die Materie erklärt. Mehr wird nämlich vorerst im Begriff der Materie nicht gedacht als das überhaupt etwas, das nicht mehr nichts, d.h. das nicht mehr frei Seiende. Diese Materie, die nur das erste Etwassein selbst ist, ist allerdings nicht die Materie, die wir jetzt vor uns sehen, die geformte und mannigfach gebildete, also namentlich auch nicht die schon körperliche Materie; was wir als Anfang und erste Potenz, als das Nächste am Nichts, bezeichnen, ist vielmehr selbst die Materie dieser Materie, der schon geformten nämlich und uns sinnlich erkennbaren, mit sinnlichen Eigenschaften ausgestatteten Materie, ihr Stoff, ihre Grundlage; denn jene Materie, die nur das erste Etwas-sein überhaupt ist, wird, wie wir bald sehen werden, unmittelbar zum Gegenstand eines Prozesses, in welchem sie verwandelt und zur Grundlage eines höheren Seins gemacht wird, und nur indem sie dazu wird, nimmt sie jene sinnlich erkennbaren Eigenschaften an. Diesem ersten Realen nun, diesem ersten Etwas-sein steht das Ideale entgegen, das insofern das Nichts (nämlich das nicht Etwas) ist, aber weil es das[123] dem Etwas entgegengesetzte, das als solches gesetzte Nichts oder reine Wesen ist, insofern ist es doch eben darum selbst auch Etwas: wir werden sagen, oder vielmehr in der ersten Entwicklung dieser Philosophie wurde gesagt, dieses als solches gesetzte reine Wesen – das gegen die Materie als nichts ist – sei das Licht. Das Licht ist gegen die Materie als nichts und doch nicht nichts; dasselbe, was in der Materie als etwas ist, ist in dem Licht als nichts, und insofern allerdings auch als etwas, aber als ein anderes Etwas, als das rein ideale gesetzt. Das Licht ist offenbar nicht Materie, wozu frühere Hypothesen es herabgesetzt haben. Wenn selbst Materie, wie könnte es Körper geben, die das Licht in allen Richtungen nicht bloß, sondern in jedem Punkt ihrer Substanz geradlinig durchdringt? Wollte man dies durch Poren oder von Materie leere Zwischenräume erklären, so müßte der durchsichtige Körper von jedem Punkt seiner Oberfläche aus geradlinig durchbohrt sein (denn in jedem Punkt seiner Oberfläche ist er durchsichtig), also er müßte in jedem Punkt Porus und daher nichts als Porus sein. (Eben jetzt ist auch die beobachtende Physik geneigter, die Immaterialität des Lichts als seine Materialität zu behaupten. Bekanntlich wird die Undulationstheorie vorgezogen, nach welcher das Licht nur ein Akzidenz, insofern freilich nicht Materie ist, aber das Akzidenz einer Materie, was als Hypothese für den Kalkül gewisse Erleichterungen gewährt, und eben nur so weit zulässig ist wie auch die Atome, deren Gewicht die Stöchiometrie sogar bestimmt, ob sie gleich nie einen dieser Atome gesehen hat. Übrigens hat es etwas durchaus Widerstrebendes, die Phänomene das Lichts, in denen gerade die geradlinige Bewegung das Dominierende, unter die Vorstellung eines undulierenden Mediums zu subsumieren. Die Naturphilosophie erklärt das Licht nicht für immateriell in dem Sinn, daß es bloß Akzidenz, sondern es ist ihr auch Substanz, aber immaterielle – wie Spinoza ausgedehnte und denkende Substanz.) Das Licht ist also selbst nicht Materie, aber es ist im Idealen eben das, was die Materie im Realen ist; denn es[124] erfüllt den Raum auf seine, d.h. auf ideale Weise geradeso nach allen Dimensionen, wie ihn die Materie erfüllt; das Licht ist also der Begriff der Materie, nicht etwa innerlich oder bloß subjektiv, sondern es ist der selbst objektiv gesetzte Begriff der Materie, eine Bestimmung, bei der ich einen Augenblick verweile, indem sie Veranlassung gibt, einen wesentlichen Fortschritt dieser Philosophie in bezug auf Fichte und noch weiter zurück ins Licht zu setzen.

Descartes und sein Nachfolger Spinoza hatten das Denken von der Ausdehnung und dem Ausgedehnten rein ausgeschlossen. Aber z.B. das Licht ist in der ausgedehnten Welt offenbar ein Analogon des Geistes oder des Denkens, und wenn wir diesen unbestimmten Begriff eines Analogon auf einen bestimmten Begriff reduzieren, so ist das Licht gar nichts anderes als der Geist oder das Denken selbst, nur auf einer tieferen Stufe oder Potenz. Ganz auf dieselbe Weise hatte Fichte den Gegensatz von Ich und Nicht-Ich. Zwar hätte er seiner eignen Lehre zufolge, daß nur das Ich wahrhaft existiert, das Ich auch als die Substanz oder als das letzte Wesen der Natur erkennen, er hätte von der Natur behaupten müssen, daß auch sie wahrhaft nur existiere, inwiefern sie innerlich oder ihrem Wesen nach = Ich, Subjekt-Objekt sei. Er hätte dies behaupten müssen, wenn er ihr nicht alle Realität außer unsern Vorstellungen abgesprochen hätte. Also auch Fichte kannte nichts Subjektives als nur in dem menschlichen Ich oder Geist, während man z.B. von dem Licht sagen kann, es sei ein Subjektives, aber ein in die Natur selbst Gesetztes, das, worin die Natur gegen sich selbst subjektiv oder Subjekt ist, woraus denn auch folgt, daß die Natur nicht etwas bloß Objektives – bloßes Nicht-Ich sei. Denn das Ich ist gleichsam das Ich oder das erste Subjektive der Natur – das erste Subjektive außer uns. Nirgendwo, in keiner Sphäre ist ein bloß Subjektives oder ein bloß Objektives, sondern immer eine Einheit beider. Das Licht gehört für mich allerdings zu der mir objektiven Welt, zu der Welt, die für mich, der bereits auf eine höhere Stufe erhoben ist, als Objektiv sich verhält, die aber in[125] sich selbst auch ein Subjektives hat. Nur gegen ein noch höheres Ideales, z.B. gegen das menschliche Wissen, also überhaupt nur relativ, beziehungsweise gehört das Licht zur reellen Welt, für sich betrachtet aber, oder auch mit der Materie verglichen, ist es in seiner Art oder Potenz ebensowohl ein Ideales, als das menschliche Denken in seiner Potenz ein Ideales ist.

Aus den bisherigen Bestimmungen hat sich nun also ergeben, daß die ersten Momente des unendlichen sichselbst-Setzens oder, da in diesem das Leben des Subjekts besteht, daß die ersten Momente dieses Lebens Momente der Natur sind. Hieraus folgt also, daß diese Philosophie mit ihren ersten Schritten in der Natur ist oder von der Natur anfängt – natürlich nicht um in ihr zu bleiben, sondern um in der Folge durch immer fortschreitende Steigerung sie zu übertreffen, über sie hinauszukommen und zum Geist, in die eigentlich geistige Welt, sich zu erheben. Diese Philosophie konnte also in ihrem Anfang Naturphilosophie heißen, aber die Naturphilosophie war nur der erste Teil oder die Grundlage des Ganzen. Die Natur war selbst nur die eine Seite des Universums oder der absoluten Totalität, in welcher erst das absolute Subjekt ganz verwirklicht ist, die relativ ideale Welt. Die Welt des Geistes war die andere Seite. Die Philosophie mußte in die Tiefen der Natur hinabsteigen, nur um sich von dort aus zu den Höhen des Geistes zu erheben. Die andere Seite des Systems war also die Philosophie des Geistes. Wenn man daher das ganze System Naturphilosophie nannte, so war dies eine denominatio a potiori, oder eigentlich a priori, als eine Benennung von dem, was in dem System das Vorausgehende, das Erste, aber insofern vielmehr das Untergeordnete war. Es war im Grunde schwer, diesem System einen Namen zu finden, weil es eben die Gegensätze aller früheren Systeme in sich aufgehoben enthielt; in der Tat war es weder Materialismus noch Spiritualismus zu nennen, weder Realismus noch Idealismus. Man hätte es Real-Idealismus nennen können, inwiefern in ihm der Idealismus selbst einen Realismus[126] zur Basis hatte und aus einem Realismus entwickelt wurde. Nur einmal, in der Vorrede, also in dem exoterischen Teil meiner ersten Darstellung dieses Systems, hatte ich es das absolute Identitätssystem genannt, um eben anzudeuten, daß hier kein einseitiges Reales noch ein einseitiges Ideales behauptet werde, sondern in dem, was man von Fichte her das Reale, und in dem, was man das Ideale zu nennen gewohnt war, nur Ein letztes Subjekt gedacht werde. Allein auch diese Benennung wurde übel gedeutet und von denen, welche nie in das Innere des Systems eindrangen, benutzt, um daraus zu schließen, oder dem ununterrichteten Teil des Publikums glauben zu machen, es werden in diesem System alle Unterschiede, namentlich jeder Unterschied von Materie und Geist, von Gutem und Bösem, selbst von Wahrheit und Irrtum aufgehoben, nach diesem System sei im gemeinen Sinn alles eins. Ich setze nun übrigens die Darstellung desselben fort.

Wir hätten also nun die zwei ersten Potenzen, die Materie auf der einen Seite als Ausdruck des ersten noch mit oder von sich selbst Befangenseins des zuvor lauteren und freien Subjekts und das Licht als Ausdruck des als frei und unbefangen gesetzten Subjekts, was aber eben darum nicht mehr das ganze oder das absolute Subjekt sein kann, eben weil es das schon als solches gesetzte ist. Denn das absolute Subjekt ist noch rein unendlich, also auch noch nicht als solches gesetzt. Es ist nun zu zeigen, wie von diesem Punkt aus die Entwicklung weiter fortgeschritten. Hier kommt dann zuerst das eigentliche Prinzip des Fortschreitens oder die Methode zur Sprache, welche auf der Voraussetzung ruhte, daß immer das, was auf einer vorhergehenden Stufe noch subjektiv gesetzt ist, in einer folgenden selbst objektiv werde – zum Objekt hinzutrete, damit auf diese Weise zuletzt das vollkommenste Objekt entstehe, endlich aber das letzte, allein stehenbleibende Subjekt, das nicht mehr Objektiv werden könnende (weil alle Formen da sind), also wirklich das höchste, als solches gesetzte Subjekt sei, denn was im Lauf der Entwicklung als Subjekt erscheint, ist gleichsam nur für einen Moment[127] Subjekt, aber in einem folgenden Moment schon finden wir es als mit zum Objekt gehörig, selbst wieder objektiv gesetzt. Das Subjekt hat die notwendige Tendenz zum Objektiven, diese erschöpft sich.

Sie sehen von selbst, daß diese Methode nicht eine bloß äußerliche, nur von außen auf die Gegenstände angewendete, daß sie eine innere, immanente, dem Gegenstand selbst inwohnende war. Nicht das philosophierende Subjekt – der Gegenstand selbst (das absolute Subjekt) bewegte sich nach einem ihm inwohnenden Gesetz, welchem zufolge das, was auf einer früheren Stufe Subjekt, in einer folgenden zum Objekt wird. So steht nun auch – im gegenwärtigen Moment noch – das Licht, d.h. das relativ Ideale der Natur, der Materie, als Subjekt dem Objekt, entgegen. Aber dieses Ideale muß nun auch selbst zu dem Objekt hinzutreten – objektiv werden, damit auf diese Art das ganze, das vollkommene Objekt entstehe. In diesem ersten Idealen ist schon wieder ein höheres, weiter zurückliegendes verborgen, das nicht eher hervortritt und unterscheidbar wird, als jenes selbst real geworden ist. Es kann aber nicht real oder objektiv werden, ohne eben damit an dem Sein der Materie teilzunehmen (die den ganzen Raum des Objektiven genommen), d.h. nicht ohne die Materie ihres bisherigen Selbstseins zu berauben, nicht ohne ein Drittes hervorzubringen, von welchem Materie und Licht beide selbst nur noch Akzidenzen oder Attribute sind. Was zuvor (im vorhergehenden Moment) noch jedes ein selbst-Seiendes war – Materie und Licht – diese beiden sollen in einem folgenden Moment nur noch die gemeinschaftlichen Attribute eines Höheren, Dritten sein, beide gemeinschaftlich einer noch höheren Potenz untergeordnet werden. Diese Beraubung ihres Selbstseins kann sich nun aber die Materie, daß ich so sage, nicht ohne Widerstand gefallen lassen. Damit ist also ein Prozeß gesetzt, in welchem, wie ich schon zum voraus andeutete, die Materie zur bloßen Grundlage eines höheren Seins genommen oder darein verwandelt wird. Dieser Moment wurde der dynamische Prozeß genannt, der auch[128] wieder seine Momente hat. Als Erscheinungen dieser Momente wurden die jetzt noch in der Natur erkennbaren, der magnetische, der elektrische und der chemische angesehen, oder deutlicher: die drei Momente eines noch jetzt in der Natur wahrnehmbaren und immer fortgehenden Prozesses, die wir als Magnetismus, Elektrizität und Chemismus unterscheiden, diese drei Momente wurden angenommen auch als Momente der ursprünglichen Entstehung der geformten und differenten (mit unterscheidbaren Eigenschaften ausgestatteten) Materie. Ich nannte sie in dieser Beziehung die drei Kategorien aller materiellen Entstehung oder die drei Kategorien der Physik. Dieser dynamische Prozeß nun aber ist bloß Übergang und beruht noch immer auf der gegenseitigen Spannung der beiden Potenzen; der Chemismus z.B. ist nur das Phänomen, in welchem es der widerstrebenden Materie gelingt, die in ihr durch Magnetismus und Elektrizität gesetzten höheren Bestimmungen immer wieder auszulöschen und zu vernichten. Im dynamischen Prozeß behauptet die Materie noch immer ihre Selbstrealität; von dem Moment an aber, wo sie ihre Selbständigkeit oder ihren selbständigen Gegensatz gegen das Ideale verliert, tritt ein höheres Subjekt ein, gegen welches nun beide sich als die bloßen gemeinschaftlichen Attribute verhalten, wir wollen dieses Subjekt A3 nennen. Es ist das Subjekt oder der Geist der organischen Natur, der Geist des Lebens, welcher nun mit jenen Potenzen, mit Licht und Materie, als den seinigen wirkt. Dabei kommt also die Materie nicht mehr als Substanz in Betracht; in der Tat ist der Organismus nicht durch die materielle Substanz, die beständig wechselt, sondern nur durch die Art oder Form seines materiellen Seins – ist er Organismus. Das Leben hängt an der Form der Substanz, oder für das Leben ist die Form das Wesentliche geworden. Die Tätigkeit des Organismus hat daher auch nicht unmittelbar die Erhaltung seiner Substanz zum Zweck, sondern die Erhaltung der Substanz in dieser Form, in welcher sie eben Form der Existenz der höheren Potenz (A3) ist.[129]

Der Organismus hat eben davon seinen Namen, daß, was zuvor um seiner selbst willen zu sein schien, in ihm nur noch Werkzeug, als Organ eines Höheren ist. In dem früheren Moment – noch im dynamischen Prozeß- behauptet die Materie ihr Selbstsein und nimmt jene Tätigkeitsformen, die wir als Magnetismus, Elektrizität und Chemismus bezeichnet haben, nur als Akzidenzen in sich auf. Ein unorganischer Körper kann in elektrischem Zustand sein oder nicht sein ohne Nachteil für ihn selbst, dagegen sind die Tätigkeitsformen der organischen Materie ihr wesentlich; ein Muskel z.B. ohne Kontraktions- und Expansionsvermögen oder ohne Irritabilität gedacht, wäre eigentlich auch kein Muskel mehr.

Wenn nun aber das Reale als solches nur in der Spannung gegen das Ideale da ist, so existiert jetzt, da beide in einer höheren Potenz untergeordnet sind, weder mehr das eine noch das andere als solches, sondern nur das Dritte, in dem sie eins sind, zu dem sie beide sich gleichsam verständigt haben und für das es eben keinen andern Namen mehr gibt als den des Lebendigen.

Aber diese Unterordnung kann auch nur stufenweise, also durch einen Prozeß erreicht werden. Denn noch immer sucht die Materie ihre Selbständigkeit zu behaupten, wie z.B. in jenen unorganischen Absätzen der Schaltiere, die ihre Abhängigkeit von dem Leben nur durch die ihnen äußerlich aufgedrückte Form beurkunden, innerlich aber unbelebt sind; das Unorganische, d.h. die ein Selbstsein affektierende Materie, ist hier schon in den Dienst des Organismus getreten, aber ohne ihm völlig unterworfen zu sein. Das Knochensystem der höheren Tiere ist eben dieses nun nach innen zurückgedrängte und in den inneren Lebensprozeß mit aufgenommene Unorganische, das bei den Tieren niederer Ordnung (den Mollusken) noch äußerlich ist und als Schale und Gehäuse erscheint. Das Tier auch der höheren Klasse enthält in der Verschiedenheit seiner Organe noch die Andeutungen oder Reminiszenzen der Stufen, über welche der gesamte organische Naturprozeß emporgestiegen ist. Während des Prozesses, durch den die organische[130] Natur selbst ensteht, verhält sich jenes Höhere, das wir durch A3 bezeichnet haben, noch immer zum Teil subjektiv, denn noch ist es nicht ganz verwirklicht. Die Stufen, durch welche es bis zu seinem vollkommenen Objektivwerden hindurchgeht, sind durch die verschiedenen Organisationen bezeichnet. (Hier wurde in der vollständigen Entwicklung des Systems der Unterschied des Pflanzen- und des Tierreichs erörtert, ferner wurde hier die Stufenfolge der tierischen Oganisationen selbst erklärt. Hier kann ich überall den bloßen Grundriß geben, in die einzelnen Untersuchungen, in die zahlreichen Vermittlungen, welche wieder die Übergänge von der einen Stufe des organischen Lebens zu der anderen bilden, kann ich mich hier nicht einlassen, wo jenes System nicht mehr selbst Zweck ist, sondern bloß für den geschichtlichen erörtert wird.)

Diese Lehre, daß, was auf einer früheren Stufe als das Seiende sich darstellt, auf einer folgenden zum relativ nicht-Seienden, nämlich eben zur bloßen Stufe, also zum Mittel herabgesetzt wird, diese Lehre, die, so einfach und in der unmittelbaren Natur jedes Fortschritts gegründet sie ist, gleichwohl zuerst eine Sache der Philosophie war und von dieser ausgesprochen wurde, ist jetzt bereits in die Naturforschung gedrungen und im weitesten Umfang angewendet.

Hat nun der (organische) Prozeß sein Ziel erreicht, so tritt auch jenes bisher Subjektive selbst wieder zum Objekt hinzu, sein Reich, seine Herrschaft endet, um wieder einer höheren Potenz Platz zu machen. (Es entstehen jetzt keine ursprünglichen Organisationen mehr. Insofern ist auch historisch dieses ursprünglich organisierende, Organisationen hervorgerufene Prinzip zu einer Vergangenheit geworden.) Das Prinzip des organischen Lebens gehört also in bezug oder im Verhältnis zu dem höheren Prinzip der folgenden Periode selbst noch zur objektiven Welt und ist insofern Gegenstand sogar der empirischen Naturforschung. Der Moment, wo jenes bis jetzt Höchste, das A3, nun selbst auch ganz objektiv wird, also einem noch höheren Subjekt sich unterordnet, ist – die Geburt des[131] Menschen, mit welcher die Natur als solche vollendet ist und eine neue Welt, eine völlig neue Folge von Entwicklungen beginnt. Denn der Anfang der Natur war eben jenes erste Etwas-Sein, und der ganze Naturprozeß ging nur auf Überwindung desselben in seiner Selbständigkeit oder Substantialität, ging nur dahin, es selbst wieder zur bloßen Existenzform eines Höheren zu machen. Nachdem also dieses erste Sein von seiner Befangenheit erlöst und eben dadurch, daß es einem Höheren sich unterordnete, zu der Freiheit wieder gebracht ist, die es im Organischen schon zum Teil in den freiwilligen Bewegungen der Tiere erlangt hat, so ist der Naturprozeß als solcher geendigt; das Subjektive, das jetzt eintritt, hat nicht mehr unmittelbar, wie noch die vorhergehenden Potenzen, mit dem Sein zu tun, indem es dies als ein fertiges, vollendetes, abgeschlossenes vor sich hat; die höhere Potenz, die nun wieder über dieser Welt des Seins sich erhebt, hat zu dieser nur noch einen idealen Bezug, oder sie kann nur noch Wissen sein. Denn was sich gegen das gesamte Sein wieder als Höheres, es Begreifendes verhält, kann nur Wissen sein. Wir hätten also jetzt das Subjekt bis zu dem Punkt gebracht, wo es reines Wissen ist, oder wo es dasjenige ist, dessen Sein eben nur noch im Wissen besteht, das wir nicht mehr nachweisen können als ein Ding oder als Materie (hier war die Immaterialität der Seele oder dessen, was in uns unmittelbar nur noch Wissen ist, besser und einleuchtender erklärt als in allen früheren Theorien, für welche noch außerdem die Existenz dieses Einfachen und Immateriellen, wie sie es nannten, selbst nur eine zufällige war, während sie in jener Folge als eine notwendige einleuchtet) – es muß in dieser Folge ein Punkt kommen, wo das Subjekt nicht mehr zur Materie herabsinkt, wo es nur noch Wissen, also reines Wissen, d.h. reiner Geist ist, und wo es alles, was es außerdem und unmittelbar sein könnte, bereits außer sich, als ein Anderes vor sich, als ein für es selbst Objektives hat. Dennoch bleibt es zwar nur in idealer, aber doch in notwendiger Beziehung auf das, was es nun vor sich hat; denn es ist reines Wissen[132] eben nur, weil es das gesamte Sein schon außer sich hat; denn an sich ist es nicht ein anderes, sondern dasselbe Subjekt, das in seinem ersten und unmittelbaren Tun Materie geworden, in einer höheren Potenz als Licht, in einer noch höheren als Lebensprinzip erschien; könnte man also diese früheren Momente vor ihm hinwegnehmen, so würde das Subjekt nur wieder eben da anfangen können, wo es angefangen hatte, und es würde – auf dieser bestimmten Stufe – zu dieser Potenz seiner selbst abermals erhoben, wieder als reines Wissen sein; es ist als reines Wissen gesetzt nicht an sich, sondern nur vermöge dieser Stufe, d.h. inwiefern es jene Momente vor sich hat, inwiefern es von diesen, die in ihm, dem absolut oder an sich betrachteten, als Möglichkeiten waren, inwiefern es sich von diesen schon gereinigt, sie außer sich, also zugleich von sich ausgeschlossen hat, es ist als reines Wissen nicht an sich, sondern nur durch seine Potenz, als A4, als welches es aber sich selbst in den früheren Potenzen voraussetzt. Eben darum steht es in notwendigem und nicht aufzuhebendem Bezug zu jenen vorausgegangenen Momenten, in unmittelbarem Bezug aber zu dem, in welchem allein der Schluß und das Ende des vorhergehenden Seins ist, also zu dem Menschen (denn das folgende Moment muß immer das vorhergehende als seine unmittelbare Basis festhalten) – es ist also reines Wissen, das zwar auf die ganze Natur sich bezieht, seine unmittelbare Beziehung aber nur zum Menschen hat und insofern menschliches Wissen ist. Hiermit entsteht denn eine neue Folge von Momenten, welche nicht umhinkann, der Folge von Momenten, die wir bereits in der Natur erkannt haben, parallel zu sein. Aber der Unterschied ist, daß hier alles nur im Idealen vorgeht, was dort im Realen ist.

Die erste Stufe wird auch hier wieder das Objektive oder Endliche sein, die zweite das als solches gesetzte Subjekt oder Unendliche, die dritte – Einheit beider; aber wie dort, in der Natur, das Reale und das Ideale, Materie und Licht, beides, objektiv oder real ist, so wird hier (in der nun anfangenden geistigen Welt) Reales und Ideales[133] der Entgegensetzung ohnerachtet beides nur ein Ideales. Das Subjekt, welches wir als über die ganze Natur erhabenes bestimmt haben, ist unmittelbar nur reines Wissen, als solches unendlich und in völliger Freiheit; insofern steht es wieder an demselben Punkt wie das erste in seiner reinen Freiheit und Unendlichkeit gesetzte Subjekt, aber es steht in unmittelbarer Beziehung zu einem Endlichen und Begrenzten, dem menschlichen Wesen, und indem es nicht umhinkann, zur unmittelbaren Seele desselben zu werden, ist es auch genötigt, an allen Bestimmungen, Verhältnissen und Begrenzungen desselben teilzunehmen, und auf diese Weise, indem es in alle Formen der Endlichkeit eingeht, sich selbst zu verendlichen, und obgleich es selbst immer ideal bleibt, dennoch mit der im Gebiete des Seins oder des Realen herrschenden Notwendigkeit (ideal) sich zu verwickeln. Aus diesem Verhältnis nun des in sich unendlichen Wissens und eines Endlichen, mit welchem es in Bezug steht, wurde das ganze System der notwendigen Vorstellungen sowie der Begriffe, nach welchem sich die objektive Welt dem menschlichen Bewußt sein bestimmt, abgeleitet; die eigentlich erkennende oder theoretische Seite des menschlichen Bewußtseins wurde hier entwickelt der ganze, wiewohl berichtigte, Inhalt der Kantischen Vernunftkritik, oder was in dieser Inhalt der gesamten theoretischen Philosophie war, wurde hier, aber als Inhalt eines bloßen Moments, in das Gesamtsystem aufgenommen. Aber indem nun auf diese Weise das an sich freie und unendliche Wissen sich den Endlichen einbildet und durch ein neues Herabsinken in die reale Welt sich mit der Notwendigkeit befängt und nun selbst als notwendiges und gebundenes Wissen erscheint: so wird eben dadurch der Grund zu einer neuen Steigerung gelegt; denn das unüberwindliche Subjekt tritt auch aus dieser Gebundenheit, die es im Menschen angenommen, nochmals in sein Wesen zurück und wird im Gegensatz mit seiner Gebundenheit als das freie, als zweite Potenz seiner selbst und außer jener Notwendigkeit, als sie selbst beherrschend, behandelnd und begreifend gesetzt; der Gegensatz,[134] der durch die ganze Folge hindurchging, erhält hier seinen höchsten Ausdruck als Gegensatz von Notwendigkeit und Freiheit. Die Notwendigkeit ist das, womit der Mensch in seinem Erkennen zu tun hat, dem er in seinem Erkennen unterworfen ist; die Freiheit ist Freiheit des Handelns und des Tuns; alles Handeln setzt ein Erkennen voraus, oder im Handeln macht sich der Mensch sein eignes Erkennen wieder objektiv oder gegenständlich und erhebt sich über dasselbe; was im Erkennen Subjekt war, wird im Handeln Objekt, Werkzeug, Organ, und wenn es Ihnen früher oder bisher nicht klar gewesen sein sollte, wie jenes Übertreten des Subjekts ins Objekt oder jenes selbst Objektivwerden eines soeben noch Subjektiven geschehe, so haben Sie hier ein ganz naheliegendes Beispiel. (Bild der magnetischen Linie.)

In einer neuen Steigerung also, wodurch ihm die in seinem Erkennen gesetzte Notwendigkeit selbst wieder objektiv wird, befreit sich das Subjekt von eben dieser Notwendigkeit und erscheint nun als frei, zwar nicht in Ansehung des Erkennens oder Wissens, wohl aber in Ansehung des Handelns. Aber der Gegensatz ist damit nicht aufgehoben, sondern eben erst gesetzt, der Gegensatz zwischen Freiheit und Notwendigkeit, der durch immer weiter ausgedehnte Verzweigungen, welche ich hier nicht darstellen kann, endlich jene hohe Bedeutung annimmt, die er in der Geschichte hat, in der nicht das Individuum sondern die ganze Gattung handelt.

Hier also war der Punkt des Systems, wo es in die Sphäre des Handelns, die praktische Philosophie überging, wo demnach die moralische Freiheit des Menschen, der Gegensatz des Guten und Bösen und die Bedeutung dieses Gegensatzes, wo dann insbesondere auch der Staat als eine, wiewohl untergeordnete Vermittlung der Freiheit und Notwendigkeit, als ein Erzeugnis der zwischen beiden ringenden Menschheit, und endlich die Geschichte selbst als der große Prozeß, in den die ganze Menschheit verwickelt ist, zur Sprache kam. Und so wurde denn dieselbe Philosophie, welche auf einer früheren Stufe. Naturphilosophie[135] war, hier Philosophie der Geschichte. In dieser zeigte sich, daß eine schrankenlose Freiheit, die durch keine Gesetzmäßigkeit gezügelt wäre, zu einer trostlosen und verzweiflungsvollen Ansicht der Geschichte führe. Hier, wo die höchste und am meisten tragische Dissonanz hervortritt, in welcher der Mißbrauch der Freiheit uns selbst wieder die Notwendigkeit zurückzurufen lehrt, hier sieht der Mensch sich genötigt, etwas zu erkennen, das höher ist denn die menschliche Freiheit; die Pflicht selbst könnte ihm nicht gebieten, sobald sie entschieden habe, über die Folgen seiner Handlung ruhig zu sein, wenn er sich nicht bewußt sein dürfte, daß seine Handlung zwar von ihm, von seiner Freiheit, die Folgen aber oder das, was aus dieser Handlung für sein ganzes Geschlecht sich entwickelt, von einem Anderen und Höheren abhängig ist, welches durch die freieste, ja gesetzloseste Handlungsweise des Individuums hindurch eine höhere Gesetzmäßigkeit handhabt und behauptet.

Ohne diese Voraussetzung würde nie ein um die Folgen seiner Handlung ganz unbekümmerter Mut, zu tun, was die Pflicht gebietet, ein menschliches Gemüt begeistern; ohne diese Voraussetzung könnte nie ein Mensch wagen, eine Handlung von großen Folgen zu unternehmen, wäre sie ihm selbst durch die heiligste Pflicht vorgeschrieben. Hier wird also für die Geschichte selbst eine Notwendigkeit gefordert, die auch gegen die moralische Freiheit noch besteht und sich behauptet, die also nicht blinde Notwendigkeit (über welche die Freiheit allerdings erhoben ist) sein kann, welche vielmehr nur darum die Freiheit mit der Notwendigkeit vermittelt, weil sie selbst nicht (wie menschliche Freiheit) mit der Notwendigkeit in Konflikt tritt, und nicht bloß relativ, sondern absolut frei gegen sie, immer Vorsehung, also immer und gegen alles Subjekt – reines, freies, unbeteiligtes und daher wahrhaft unendliches Subjekt bleibt. Hier kam also die Philosophie auf jenes letzte, über alles siegreiche Subjekt, das selbst nicht mehr objektiv wird, sondern immer Subjekt bleibt, und das der Mensch nicht mehr wie im Wissen als [136] Sich, sondern als über Sich und eben darum als über allem erkennen muß, dem zuletzt alles unterworfen ist, und das nun nicht mehr bloß, wie im ersten Ausgang, Geist und Vorsehung ist, sondern auch als Vorsehung sich erklärt und am Ende zeigt, was es im Anfang schon war. Die letzte Aufgabe konnte nun bloß noch sein, das Verhältnis dieses seiner Natur nach unzugänglichen und wie in einem unzugänglichen Licht wohnenden – weil nie Objekt werden könnenden – Subjekts zum menschlichen Bewußtsein zu zeigen; denn irgendein Verhältnis zu diesem mußte ihm zukommen. Da aber bereits ausgesprochen ist, daß es selbst nie und durch keinen weiteren Fortschritt zum Objekt werden könne, sondern als herrschend über allem stehenbleibe, so läßt sich kein weiteres Verhältnis zum menschlichen Bewußtsein als das der bloßen Manifestation denken. Denn da es nicht mehr selbst Objekt wird oder werden kann, so kann man nur sagen, daß es sich manifestiere. Es fragt sich also, ob im menschlichen Bewußtsein solche Manifestationen oder, um einen Leibnizischen Ausdruck zu brauchen, der hier passender angewendet sein möchte, ob solche Fulgurationen jenes Höchsten, über alles Erhabenen im menschlichen Bewußtsein nachzuweisen sind, Erscheinungen, in denen das menschliche Selbst sich als Werkzeug oder Organ jenes Höchsten verhält; denn was sich bloß manifestiert, wirkt nicht unmittelbar, sondern nur durch ein anderes hindurch. (So in der ganzen Linie des Fortschritts.) Nun müssen wir uns erinnern, daß jenes höchste Subjekt zwar an sich nur Eines ist, aber im Verhältnis zu den zwei Seiten des jetzt vollendet vor uns stehenden Universums unter drei Gestalten gedacht werden kann; denn es ist, eben weil das Höchste, und weil alles unter ihm, ebensowohl das Letzte, final Hervorbringende der Natur, der realen Welt, als es Herr der geistigen, der idealen Welt und wieder das beide Vermittelnde, als eins unter sich Begreifende ist. Als Hervorbringendes nun wird es sich im Menschen manifestieren ebenfalls durch Hervorbringung, reale Produktion; es wird sich zeigen 1. als das Macht über den Stoff, über die Materie[137] hat, sie bewältigen und zwingen kann, der Ausdruck des Geistes, ja der höchsten Ideen selbst zu sein – so weit geht die bildende Kunst bloß als solche, aber 2. in der Poesie, welche von der bildenden Kunst vorausgesetzt wird, und zu welcher jene selbst wieder nur in einem werkzeuglichen Verhältnis steht, in der Poesie wird es sich manifestieren als Geist, welcher Gewalt hat, auch den Stoff selbst hervorzubringen oder zu schaffen.

Die höchste Wahrheit und Trefflichkeit des plastischen Kunstwerks besteht nicht in der bloßen Übereinstimmung mit dem Geschöpf oder geschöpflichen Vorbild, sondern darin, daß der Geist der Natur selbst es hervorgebracht zu haben scheint; in ihm offenbart sich also eine Tätigkeit, die selbst nicht mehr geschöpflicher Art ist, sondern in der man den Schöpfer zu sehen glaubt. In dem höchsten Werk, der mit Kunst vereinigten Poesie – in dem höchsten Werk der Dichtkunst, der Tragödie, erscheint in den Stürmen blind gegeneinander wütender Leidenschaften, wo für die Handelnden selbst die Stimme der Vernunft verstummt und Willkür und Gesetzlosigkeit immer tiefer sich verwickelnd zuletzt in eine gräßliche Notwendigkeit sich verwandeln – mitten unter allen diesen Bewegungen erscheint der Geist des Dichters als das stille, allein noch leuchtende Licht, als das allein oben bleibende, in der heftigsten Bewegung selbst unbewegliche Subjekt, als weise Vorsehung, welche das Widerspruchsvollste doch zuletzt zu einem befriedigenden Ausgang zu leiten vermag.

Hier also manifestiert sich jenes Höchste als Genius der Kunst. Ist nun die Kunst das Objektivste menschlicher Tätigkeit, so ist die Religion die subjektive Seite derselben, inwiefern diese nicht, wie jene, darauf geht, ein Sein, sondern im Verhältnis zu jenem höchsten Subjekt alles Seiende als nicht seiend zu setzen. Hier offenbart sich also jenes höchste Subjekt eben als das, wogegen alles in nichts versinkt, als solches offenbart es sich in der Begeisterung jener sittlich-religiösen Heroen, durch welche die Menschheit selbst verherrlicht und als göttlich erscheint.

Es gibt eine dritte menschliche Tätigkeit, welche das[138] Objektive der Kunst und das Subjektive (oder die Unterwerfung) der Religion in sich vereinigt – die Philosophie. Sie ist objektiv wie die Kunst, denn sie zeigt den Gang des hervorbringenden, von Stufe zu Stufe wandelnden, durch alle hindurchgehenden, aber in keiner bleibenden Schöpfers. Sie ist subjektiv wie die Religion, weil sie alles nur in die Wirklichkeit bringt, zeigt oder als seiend setzt, um es am Ende dem höchsten Subjekt, der an sich selbst der höchste Geist ist, zu überantworten.

Kunst, Religion und Philosophie, dies sind die drei Sphären menschlicher Tätigkeit, in denen allein der höchste Geist als solcher sich manifestiert, er ist der Genius der Kunst, der Genius der Religion, der Genius der Philosophie. Diesen drei Sphären wird allein Göttlichkeit und daher auch ursprüngliche Begeisterung zugestanden (alle andere Begeisterung ist schon nur eine abgeleitete, und wie Homer durch das einstimmige Zeugnis aller Zeiten, so ist auch Platon von seiner Nachwelt der göttliche genannt worden). Betrachten wir jenes höchste Subjekt nicht in einer jener besonderen Beziehungen, sondern schlechthin und allgemein, so bleibt uns für dasselbe kein anderer Name, als den ihm alle Völker ohne Unterschied geben, der Name des Gottes – nicht bloß Gottes, nicht theou, sondern tou theou, des bestimmten Gottes, dessen, der Gott ist. In diesem Begriff endigt also die Philosophie, er ist, nachdem die drei Potenzen der realen und der idealen Welt, gleichsam als ebensoviel sukzessive Herrscher verschwunden und untergegangen sind, der letzte, allein überbleibende, in welchem die Philosophie ruht von ihrer Arbeit und gleichsam ihren Sabbat feiert.

Auf diese Weise war also von dem Tiefsten, das sich uns darstellt, bis zu dem Höchsten, dessen die menschliche Natur fähig ist, eine Linie, ein stetiger und notwendiger Fortschritt dargetan. –

Mit dem zuletzt vorgetragenen System wird sich auch heutzutage noch jeder, der es in seiner echten und ursprünglichen Gestalt kennenlernt, in einer eignen Lage befinden. Einerseits wird ihm gleichsam unmöglich scheinen,[139] daß dieses System falsch sei, von der anderen wird er etwas empfinden, das ihn verhindert, es wenigstens als das letzte wahre auszusprechen. Er wird es als wahr erkennen innerhalb einer gewissen Begrenzung, nicht aber unbedingt und schlechthin. Es wird also, um ein gegründetes Urteil darüber zu haben, vorzüglich darauf ankommen, sich jener Begrenzung bewußt zu werden.

Man kann dem System 1. hinsichtlich seines Umfangs nicht absprechen, daß es alles Erkennbare, alles, was auf irgendeine Weise Gegenstand der Erkenntnis werden kann, umfaßt, daß es nichts ausgeschlossen hat und daß es außerdem im Besitz einer Methode ist, durch die es sich der Vollständigkeit seiner Erfassung versichert; man kann sogar behaupten, daß es für jede künftige Erweiterung der menschlichen Erkenntnis schon zum voraus den Ort und gleichsam die Stelle enthalte. Was 2. die Methode betrifft, so war durch diese selbst dafür gesorgt, der Subjektivität des Philosophen keinen Einfluß zu gestatten. Es war der Gegenstand selbst, der sich nach einem ihm inwohnenden Prinzip fortbestimmte, es war der nach innerem Gesetz fortschreitende Gedanke, der sich seinen Inhalt gab. 3. Der Form nach war durch dieses System zuerst in die Philosophie eingeführt der Begriff des Prozesses und von Momenten dieses Prozesses. Sein Inhalt war die Geschichte des unvermeidlich sich verendlichenden, aber aus jeder Verendlichung wieder siegreich hervortretenden Subjekts, das am Ende als über alle Objektivität und Blindheit erhabenes, im höchsten Sinn sich bewußtes Subjekt, als Vorsehung stehenblieb. Bedenkt man außerdem, welche Gewalt aller natürlichen Vorstellung durch den Subjektiven Fichteschen Idealismus angetan, wie das Bewußtsein durch die frühere absolute Entgegensetzung von Natur und Geist sich zerrissen, nicht weniger aber durch den krassen Materialismus und Sensualismus, der sich eben damals über das übrige Europa (außer Deutschland) verbreitet hatte, sich verletzt fühlte so begreift man, daß dieses System im Anfang mit einer Freude aufgenommen wurde, die kein früheres erregt hatte[140] oder ein späteres wieder erregte. Denn man weiß jetzt nicht mehr, wie manches damals errungen werden mußte, was heutzutage zum Gemeingut und in Deutschland gleichsam zum Glaubensartikel aller höher denkenden und fühlenden Menschen geworden ist. Hiezu gehört namentlich die Überzeugung, daß, was in uns erkennt, dasselbe ist mit dem, was erkannt wird.

Da jene Philosophie die gesamte Wirklichkeit – Natur, Geschichte, Kunst – alles Niedere und Höhere umfaßte, also dem Menschen gleichsam sein ganzes Wissen vor Augen stellte, mußte es mehr oder weniger auch auf den Geist der andern Wissenschaften wirken, und man kann wohl sagen, daß es nicht bloß in der Philosophie als solcher, daß es eine Veränderung in der Ansicht und Betrachtungsweise der Dinge überhaupt hervorgebracht hat. Ein neues Geschlecht entstand, das sich gleichsam mit neuen Organen des Denkens und des Wissens ausgestattet fühlte, das ganz andere Forderungen an die Naturwissenschaft, andere an die Geschichte stellte.

Die früheren mechanischen und atomistischen Hypothesen in der Physik ließen für die Naturerscheinungen fast kein anderes Interesse als etwa das übrig, mit welchem die Neugierde den Kunststücken eines Taschenspielers auf den Grund zu kommen sucht. Ihr erklärt wohl, könnte man zu solchen Theoretikern sagen, ihr erklärt freilich zur Not, wenn man euch diese Körperchen, diese Figuren derselben, diese feinen Materien, diese bald so, bald anders gebohrten, in dieser oder jener Richtung mit Klappen versehenen Kanäle zugibt, aber eins laßt ihr unerklärt, wozu alle diese Anstalten selbst gemacht sind, wie die Natur in solchen Taschenspielereien sich gefällt.

Glücklicherweise traten zu jenen durch die Philosophie gewonnenen, tieferen Ansichten der Natur, nach welcher auch sie ein Autonomisches, ein sich selbst Setzendes und Betätigendes ist, die Entdeckungen der neueren Experimentalphysik hinzu, welche die Voraussagungen der Philosophie erfüllten, zum Teil übertrafen. Die bis dahin für tot geachtete Natur gab jene Zeichen eines tieferen Lebens,[141] die das Geheimnis ihrer verborgensten Prozesse offen darlegten. Was man kaum zu denken gewagt hatte, schien Sache der Erfahrung zu werden.

Wie man früher die Natur in eine bloße Äußerlichkeit, in ein Spiel ohne alles innere Leben, ohne ein wahres Lebens-Interesse verwandelt hatte, so gefiel man sich nicht weniger, die Geschichte als das zufälligste Spiel gesetzloser Willkür, eines sinn- und zwecklosen Treibens erscheinen zu lassen, ja derjenige Gelehrte galt als der geistreichste, der das Sinnlose, ja Unsinnige der Geschichte am meisten hervorzuheben, und je größer das Ereignis, je erhabener die historische Erscheinung war, desto kleinere, zufälligere und nichtswürdigere Ursachen zur Erklärung derselben aufzubringen wußte. Dies war besonders so ziemlich der herrschende Geist der Universitäten. Ausnahmen gibt es freilich zu jeder Zeit. Eine große Ausnahme dieser Art war Johannes von Müller, den, während mehr oder weniger alle Stände sich selbst untergruben, aber besonders der größte Teil der Gelehrten vorzüglich in den positiven Fächern sich gleichsam um die Wette bemühten, durch Wegerklärung alles höheren Geistes ihre eigne Wissenschaft verächtlich zu machen, den, sage ich, während einer solchen Zeit die angeborene Ehrfurcht vor der Geschichte davor bewahrt hatte, in diesen Ton einzustimmen, aber es war auch höchstens seine Gelehrsamkeit, die Anerkennung fand, seinen Geist zu würdigen war einer späteren Zeit vorbehalten.

Der Wert und das Interesse der Wissenschaften steigt immer in dem Verhältnis, in welchem man sie eines tiefen und reellen Bezugs auf die höchste aller Wissenschaften, die Philosophie, fähig sieht, und diejenigen, welche aus einem bedauerlichen Mißverstand sich Mühe geben, ihre spezielle Wissenschaft so weit möglich von der Philosophie loszureißen, wissen nicht, was sie tun; denn die Achtung, in der sie ihre Wissenschaft sehen und bei der sie sich wohl befinden, ist selbst nur eine Folge davon, daß in ihnen jener Bezug auf die höhere, wenn nicht ausgesprochen, doch infolge der früheren philosophischen[142] Entwicklungen als vorhanden gesehen wird. Wenn einmal ein veränderter Gang der Literatur bevorstand, so mußte er sich zuerst in den höheren, eben darum sensibleren Organen (in Poesie und Philosophie) ankündigen, wie zarte und geistiger organisierte Naturen Witterungsveränderungen, bevorstehende Gewitter und andere physische Ereignisse eher als materieller organisierte empfinden. Goethe war wohl der erste Verkünder einer neuen Zeit, aber er blieb eine isolierte, nicht bloß seiner Zeit, sondern zum Teil sogar sich selbst unbegriffene Erscheinung; das wahre Licht über ihn gab ihm selbst erst die große durch Kant bewirkte Veränderung, von welcher an der durch sie geweckte Geist sukzessiv alle Wissenschaften und die ganze Literatur ergreifen mußte. Auch Herder verdient wohl unter den Genien erwähnt zu werden, die diese neue geistige Bewegung zum Teil ohne Wissen und ohne Wollen vorbereitet haben.

Wie kam es nun, daß diese Philosophie in der Gestalt, in welcher sie zuerst eine fast allgemeine Anziehungskraft ausübte, dennoch nicht lange nachher sich in ihrer Wirkung gehemmt sah, einen abstoßenden Pol zeigte, der im Anfang weniger bemerkt wurde? Nicht die großenteils sinnlosen und ungerechten Angriffe, denen sie von vielen Seiten ausgesetzt war, wohin z.B. das Triviale, das Gewöhnliche gehörte, daß sie Spinozismus, Pantheismus sei – nicht diese Angriffe konnten sie eigentlich hemmen; es war vielmehr ein Mißverstand, in dem sie sich über sich selbst befand indem sie sich für etwas gab oder (man könnte eher sagen) sich für etwas ansehen ließ, was sie nicht war, was sie dem ursprünglichen Gedanken nach nicht sein sollte.

Um dies zu erklären, muß ich etwas weiter ausholen.

Der Punkt, in welchem jede Philosophie mit dem allgemeinen menschlichen Bewußtsein immer entweder in Übereinstimmung oder in Konflikt sich finden wird, ist die Art, wie sie sich über das Höchste, über Gott erklärt. Welche Stellung hatte nun Gott in der zuletzt vorgetragenen Philosophie? Zunächst die Stellung eines bloßen Resultats, des höchsten und letzten, alles abschließenden[143] Gedankens – ganz der Stellung gemäß, welche er auch in der früheren Metaphysik gehabt und die ihm auch Kant gelassen hatte, dem Gott bloß der zur formalen Abschließung der menschlichen Erkenntnis notwendige Gedanke war. In dem zuletzt vorgetragenen System war Gott jenes zuletzt als Subjekt, als über alles siegreich stehenbleibende Subjekt, das nicht mehr zum Objekt herabsinken kann; eben dieses Subjekt war durch die ganze Natur, durch die ganze Geschichte, durch die Aufeinanderfolge aller der Momente hindurchgegangen, von denen es nur das letzte Resultat schien, und dieses Hindurchgehen wurde als eine wirkliche Bewegung (nicht als ein Fortschreiten im bloßen Denken), es wurde sogar als realer Prozeß vorgestellt. Nun kann ich mir Gott wohl als das Ende und das bloße Resultat meines Denkens, wie er es in der alten Metaphysik war, aber ich kann ihn nicht als Resultat eines objektiven Prozesses denken; dieser als Resultat angenommene Gott könnte ferner, wenn er Gott ist, nicht etwas außer Sich (praeter se), er könnte höchstens sich selbst zur Voraussetzung haben; nun hat er aber in jener Darstellung allerdings die früheren Momente der Entwicklung zu seiner Voraussetzung. Hieraus – aus dem letzten – folgt, daß dieser Gott am Ende denn doch bestimmt werden muß, als der auch schon im Anfang war, daß also jenes Subjekt, das durch den ganzen Prozeß hindurchgeht im Anfang und Fortgang schon Gott ist, eh' es im Resultat auch als Gott gesetzt wird – daß in diesem Sinn allerdings alles Gott ist, daß auch das durch die Natur hindurchgehende Subjekt Gott ist, nur nicht als Gott – also Gott nur außer seiner Gottheit oder in seiner Entäußerung, oder in seiner Anderheit, als ein anderer von sich selbst, als welcher er erst im Ende ist. Wird nun aber wieder dies angenommen, so zeigen sich folgende Schwierigkeiten. Teils ist Gott offenbar in einem Prozeß begriffen und wenigstens gerade, um als Gott zu sein, einem Werden unterworfen, was die angenommenen Begriffe zu sehr vor den Kopf stößt, als daß es je auf allgemeine Zustimmung rechnen könnte. Die Philosophie ist aber nur[144] Philosophie, um allgemeine Verständigung, Überzeugung und daher auch allgemeine Zustimmung zu erhalten, und jeder, der eine philosophische Lehre aufstellt, macht diesen Anspruch. Man kann freilich sagen: der Gott begibt sich in dieses Werden, eben um sich als solchen zu setzen, und dies muß man freilich sagen. Aber sowie dies ausgesprochen ist, sieht man auch ein, daß man alsdann entweder eine Zeit annehmen muß, wo Gott nicht als solcher war (dem widerspricht aber wieder das allgemeine religiöse Bewußtsein), oder man leugnet, daß je eine solche Zeit gewesen, d.h. jene Bewegung, jenes Geschehen wird als ein ewiges Geschahen erklärt. Ein ewiges Geschehen ist aber kein Geschehen. Mithin ist die ganze Vorstellung jenes Prozesses und jener Bewegung eine selbst illusorische, es ist eigentlich nichts geschehen, alles ist nur in Gedanken vorgegangen, und diese ganze Bewegung war eigentlich nur eine Bewegung des Denkens. Dies hätte jene Philosophie ergreifen sollen; damit setzte sie sich außer allen Widerspruch, aber eben damit begab sie sich ihres Anspruchs auf Objektivität, d.h., sie mußte sich als Wissenschaft bekennen, in der von Existenz, von dem, was wirklich existiert, und also auch von Erkenntnis in diesem Sinn gar nicht die Rede ist, sondern nur von den Verhältnissen, welche die Gegenstände im bloßen Denken annehmen, und da Existenz überall das Positive ist, nämlich das, was gesetzt, was versichert, was behauptet wird, so mußte sie sich als rein negative Philosophie bekennen, aber eben damit den Raum für die Philosophie, welche sich auf die Existenz bezieht, d.h. für die positive Philosophie, außer sich frei lassen, sich nicht für die absolute Philosophie ausgeben, für die Philosophie, die nichts außer sich zurückläßt. Es bedurfte einer geraumen Zeit, bis sich die Philosophie hierüber ins klare setzte, denn alle Fortschritte in der Philosophie geschehen nur langsam. Wodurch übrigens jener Zeitraum noch beträchtlich verlängert wurde, war eine Episode, die dieser letzten Entwicklung entgegentrat, und von der nun auch wenigstens das Notwendige zu erwähnen ist.[145]

《Zur Geschichte der neueren Philosophie》读后感(五):Descartes

[20] Die Geschichte der neueuropäischen Philosophie wird gerechnet vom Umsturz der Scholastik bis auf die gegen wärtige Zeit. René Descartes, geb. 1596, Anfänger der neueren Philosophie, revolutionär im Geiste seiner Nation, begann damit, allen Zusammenhang mit der früheren Philosophie abzubrechen, über alles, was in dieser Wissenschaft vor ihm geleistet war, wie mit dem Schwamm wegzufahren, und diese ganz von vorn, gleich als wäre vor ihm nie philosophiert worden, wieder aufzubauen. Die notwendige Folge einer solchen gänzlichen Losreißung war allerdings, daß die Philosophie wie in eine zweite Kindheit zurücktrat, eine Art von Unmündigkeit, über welche die griechische Philosophie fast schon mit ihren ersten Schritten hinaus war. Von der andern Seite konnte dies Zurücktreten in die Einfalt der Wissenschaft selbst vorteilhaft sein; sie zog sich dadurch aus der Weite und Ausbreitung, die sie in dem Altertum sowie in dem Mittel alter schon erhalten, fast auf ein einziges Problem zurück, das nun durch sukzessive Ausdehnung, und nachdem im einzelnen alles dazu vorbereitet war, zu der großen, alles umfassenden Aufgabe der neueren Philosophie sich erweitert hat. Es ist beinah die erste sich von selbst darbietende Definition der Philosophie, wenn man sagt, sie sei die schlechterdings von vorn anfangende Wissenschaft. Es mußte also schon viel wirken, wenn man auch nur in dem Sinn von vorn anfing, daß man nichts aus der früheren Philosophie und als von ihr bewiesen voraussetzte. Der griechische Thales soll so gefragt haben: Was das Erste und in der ganzen Natur der Dinge Älteste sei. Hier war das von vorn anfangen objektiv gemeint. Descartes aber fragt nur: Was ist das für mich Erste, und darauf konnte er denn natürlich nichts antworten als: Ich selbst, und[21] auch Ich selbst höchstens in Ansehung des Seins. An dieses erste, unmittelbar Gewisse sollte sich ihm dann erst alles andere Gewisse anknüpfen, alles nur wahr sein, inwiefern und inwieweit es mit jenem unmittelbar Gewissen zusammenhängt. Nun ist aber offenbar der Satz: Ich bin, höchstens Ausgangspunkt für mich – und nur für mich; der Zusammenhang, der durch das Anknüpfen an diesen Satz oder an das unmittelbare Bewußtsein des eignen Seins entsteht, kann also immer nur ein subjektiv logischer sein, d.h., ich kann immer nur schließen: so gewiß Ich bin, so gewiß muß ich auch annehmen, daß A, B, C usw. seien. Aber wie eigentlich A, B und C unter sich, oder mit ihrem wahren Prinzip, oder auch nur, wie sie mit dem Ich bin selbst zusammenhangen, wird durchaus nicht gezeigt. Die Philosophie bringt es also hier nicht weiter als zu einer bloß subjektiven Gewißheit, und zwar nicht über die Art der Existenz (die allein eigentlich zweifelhaft ist), sondern nur über die Existenz alles dessen, was außer dem Subjekt ist. Dies im allgemeinen.

Um nun aber das Verfahren des Descartes im einzelnen zu beschreiben, so macht er sich zum Grundsatz, vorläufig an allem zu zweifeln, ja, um recht sicherzugehen und ganz gewiß zu sein, sich von jedem Vorurteil befreit zu haben, vorläufig alles für falsch zu halten, was er bis dahin als wahr angenommen. Dieser Maxime wurde besonders von den Theologen heftig opponiert; sie meinten, auf die Weise sei Descartes ein temporärer Atheist; wenn einer stürbe, eh' er die gehoffte Demonstration vom Dasein Gottes geschrieben oder gefunden, würde er als Atheist sterben; auf die Art werde wenigstens vorläufig eine verderbliche Lehre gelehrt; man dürfe aber nicht Böses tun, damit Gutes herauskomme u. dgl. Allein der Sinn ist doch eigentlich nur der, daß man in der Philosophie nichts für wahr annehmen soll, eh' man es in seinem Zusammenhang erkannt. Indem ich die Philosophie anfange, weiß ich philosophisch eigentlich noch nichts. Dies versteht sich von selbst; dagegen ist jene Maxime weniger zu billigen, wenn sie darauf hinführt, nur das mir unmittelbar Gewisse,[22] also, da nur Ich selbst mir unmittelbar gewiß bin, nur mich selbst als Fundament erkennen zu wollen, denn dieses sogenannte unmittelbar Gewisse, mein eigenes Sein, ist mir in der Tat ebenso unbegreiflich – ja vielleicht noch unbegreiflicher als alles das, was ich vorläufig für falsch oder doch für zweifelhaft angenommen. Verstehe ich den Zweifel an den Dingen recht, so habe ich ebensowohl an meinem eigenen Sein zu zweifeln. Der Zweifel des Descartes, der sich zunächst nur auf die sinnlich erkannten Dinge erstreckt, kann sich nicht auf ihre Realität überhaupt oder in jedem Sinn beziehen – denn in irgendeinem muß ich sie ihnen doch zugestehen. Der wahre Sinn meines Zweifels kann nur sein, daß ich diese sinnlich erkennbaren Dinge nicht in dem Sinn zu sein glauben kann, in welchem das Original-, das von sich selbst Seiende ist: denn ihr Sein ist kein originales, wir sehen in ihnen etwas Gewordenes; und inwiefern alles Gewordene von bloß abhängiger und insofern zweifelhafter Realität ist, insofern kann man sagen, sie seien an sich selbst von zweifelhaftem Dasein, oder es sei ihre Natur, zwischen Sein und Nichtsein zu schweben. Eben dieses zweifelhafte Sein muß ich aber auch in mir anerkennen; aus demselben Grunde, aus welchem ich an den Dingen, müßte ich also auch an mir selbst zweifeln. Indes der Zweifel des Descartes an der Realität der Dinge hat wirklich nicht die spekulative Bedeutung, die wir ihm soeben gegeben; der Grund seines Zweifels ist ein bloß empirischer, wie er selbst sagt, weil er nämlich öfters erfahren, daß ihn die Sinne getäuscht, weil er manche Male sich im Traum überredet, daß dies oder jenes außer ihm sei, wovon sich nachher das Gegenteil befunden; ja setzt er hinzu, er habe Leute gekannt, die Schmerzen in Gliedern empfunden, die ihnen vorlängst abgenommen worden – in diesem Argument erkennt man den ehemaligen Militär, übrigens lag es nahe zu überlegen, daß solche Personen doch nur Schmerzen in Gliedern empfunden, die sie einmal gehabt haben, und kein Beispiel vorhanden ist von Leuten, die Schmerzen empfunden härten in Gliedern, die sie niemals gehabt. Durch diese letzte[23] Erfahrung glaubt er sich jedoch noch insbesondere berechtigt, auch an der Existenz seines eigenen Körpers zu zweifeln.

Von hier geht er dann fort auf die nicht aus den Sinnen geschöpften, also mit dem Charakter der Notwendigkeit und Allgemeinheit ausgestatteten Erkenntnisse, namentlich die mathematischen Wahrheiten, für deren Bezweifelbarkeit er den seltsamsten Grund anführt, der nicht, wie die der alten Skeptiker, aus dem Innern dieser Gegenstände und ihren Voraussetzungen selbst, sondern von etwas Äußerem hergenommen ist. Nämlich, so erklärt er sich, obgleich ich so gewiß als von meinem eigenen Leben überzeugt bin und nicht einen Augenblick umhin kann zu erkennen, daß die drei Winkel eines Dreiecks = zwei Rechten, so ist doch meiner Seele die Meinung – ich weiß nicht recht, ob beigebracht oder sogar eingepflanzt, daß es einen Gott gebe, von dem ich gehört habe, daß er alles vermöge, und daß ich (der Zweifelnde) ganz und gar mit allem, was ich sei und wisse, dessen Geschöpf sei. Nun hätte dieser, fährt er fort, doch auch bewirken können, daß ich über diese Dinge mich täuschte, welche mir übrigens als die klarsten erscheinen. Als ob man nicht weit mehr Ursache härte, an einem solchen Zweifel zu zweifeln. Ehe man diesen aufwürfe, müßte man doch irgendein Interesse anzugeben wissen, das der Schöpfer haben könnte, mich mit den notwendigen Wahrheiten zu täuschen. Das wahre Verhältnis, in dem sich die Philosophie in ihrem Anfang gegen alles, und also auch gegen die mathematischen Wahrheiten, befindet, ist, nicht sie zu bezweifeln (denn wie käme sie nur überhaupt dazu, sie jetzt schon zum Gegenstand ihres Denkens zu machen?), sondern sie einfach dahingestellt sein zu lassen, bis sie im Verlauf ihrer schlechthin von vorn anfangenden Untersuchung von selbst auf die Voraussetzungen geführt wird, von denen ihre Wahrheit abhängt.

Nachdem nun Descartes auf diese nicht eben sehr tiefe Weise an allem ihm vors Bewußtsein Gekommenen gezweifelt, fragt er, ob ihm denn gar nichts übrigbleibe,[24] woran er aus den früher angeführten oder an dern Gründen ebenfalls noch zweifeln könnte. Obgleich er nun an allem gezweifelt zu haben schien, blieb ihm doch noch etwas übrig, nämlich Er selbst, welcher so zweifelte, nicht sofern er aus Kopf, Händen, Füßen und andern körperlichen Gliedmaßen bestand – denn an der Realität von diesen hatte er bereits gezweifelt –, sondern nur inwiefern er zweifelte, d.h., inwiefern er dachte. Indem er nun dieses genau untersuchte, meinte er zu finden, daß er an diesem, nämlich an Sich selbst, sofern er dachte, aus keinem der Gründe zu zweifeln vermöge, die ihn an den andern Dingen zu zweifeln bewogen. Denn, sagt er, ich mag nun wachen oder träumen, so denke ich doch und bin, und sollte ich mich in Ansehung alles anderen geirrt haben, so war ich doch, denn ich irrte, eram quia errabam, und der Urheber der Natur mag noch so kunstvoll angenommen werden, so kann er mich doch in dieser Hinsicht nicht täuschen, denn um getäuscht zu werden, muß ich sein. Ja, je mehr Gründe des Zweifels vorgebracht werden, desto mehr Gründe erlange ich, die mich von meiner Existenz überzeugen, denn je öfter ich zweifle, desto öfter bewähre ich meine Existenz – also, daß, wie ich mich auch wende, ich immerhin genötigt bin, in die Worte auszubrechen: Ich zweifle, ich denke, also bin ich!

Dies ist also das berühmte Cogito ergo sum des Descartes, mit dem denn allerdings auf lange Zeit gleichsam der Grundton der neueren Philosophie angegeben war das wie ein Zauber gewirkt hat, durch den die Philosophie in den Umkreis des Subjektiven und der Tatsache des bloß subjektiven Bewußtseins gebannt war. Höher genommen aber lag in dem Cogito ergo sum oder in dem Entschluß, vorerst alles für zweifelhaft zu halten, bis es mit jenem allein unmittelbar Gewissen auf irgendeine Weise in Verbindung gebracht sei – in diesem Entschluß lag die entschiedenste Losreißung von aller Autorität, damit war die Freiheit der Philosophie errungen, die sie von diesem Augenblick an nicht wieder verlieren konnte.

Es ist klar genug, wie Descartes auf dieses Cogito ergo[25] sum geführt wurde. Sein Hauptzweifel war, wie man sich von irgendeiner Existenz überzeugen könne. Dieser Zweifel schien ihm in Ansehung der äußeren Dinge unüberwindlich. Wir stellen äußere Dinge vor – dies wird nicht geleugnet, und wir sind sogar genötigt, sie uns vorzustellen –, aber ob die Dinge, die wir uns vorstellen, und wie wir sie uns vorstellen, auch sind, nämlich außer uns, unabhängig von uns so sind, dies ist die Frage, auf die es keine unmittelbare Antwort gibt. Descartes wollte also einen Punkt finden, wo Denken oder Vorstellen (denn Er unterscheidet beides nicht) und Sein unmittelbar in eins zusammenfallen – und diesen glaubte er durch sein Cogito ergo sum gefunden, und da sich aller Zweifel seiner Meinung nach nur auf die Existenz bezieht, so glaubte er mit diesem Satz auch allen Zweifel überwunden. Im Cogito ergo sum glaubte Descartes Denken und Sein als unmittelbar identisch erkannt zu haben. Denn er leugnet in späteren Erklärungen aufs bestimmteste, daß der Satz: Cogito ergo sum von ihm als ein Schluß (ein Syllogismus) gemeint sei. Zu einem vollständigen Schluß würde allerdings ein Obersatz gehören, der so lautete: Omne, quod cogitat, est – der Untersatz wäre dann: Atqui cogito, und der Schlußsatz: Ergo sum. So kann es freilich Descartes nicht gemeint haben; denn damit würde der Satz: Ich bin, zu einem durch einen allgemeinen Satz vermittelten; in dieser syllogistischen Form wäre die unmittelbare Gewißheit verloren. Die Meinung des Descartes ist also, das Sum sei in dem Cogito eingeschlossen, in ihm schon mitbegriffen und ohne weitere Vermittlung gegeben. Hieraus folgt denn, daß das cogito eigentlich so viel sagt als: cogitans sum (wie denn überhaupt das Zeitwort keine andere Bedeutung hat und nur eine Zusammenziehung von Prädikat und Copula ist, z.B. lego heißt nichts anderes als sum legens, ich bin lesend oder ein Lesender). Dieses Sum cogitans kann nun außerdem nicht die Bedeutung haben, als wäre ich nichts als denkend, als wäre ich nur im Denken da, oder als wäre Denken die Substanz meines Seins. Denn Descartes spricht jenes: Ich denke, selbst nur aus, [26] indem er denkt oder zweifelt, im actu seines Zweifels. Das Denken ist also nur eine Bestimmung oder eine Art und Weise des Seins, ja das cogitans hat sogar nur die Bedeutung: ich bin im Zustande des Denkens. Der Zustand des eigentlichen Denkens ist bekanntlich für die meisten Menschen ein höchst seltener, vorübergehender, ja ein unnatürlicher, aus dem sie gewöhnlich sobald als möglich herauszutreten suchen. Bekannt ist das Schillersche: Oft schon war ich und hab' wahrlich an gar nichts gedacht. Zwar Descartes braucht, wie schon bemerkt, das Wort denken in einem sehr allgemeinen Sinn, wo es z.B. auch das sinnliche Gewahrwerden oder Wahrnehmen bedeutet. Allein ich bin ja auch nicht immer im Zustande des sinnlichen Wahrnehmens. Wollte man sagen, selbst im Schlafe höre es nicht auf, denn ich träume wenigstens, so bleibt immer die Ohnmacht, in der ich zwar nicht ausspreche: Ich bin, wie ich es im Schlaf, ja im Verlauf des gewöhnlichen wachenden Lebens auch nicht ausspreche, und doch unstreitig bin. Das in dem cogito begriffene sum heißt also nur: sum qua cogitans, ich bin als denkend, d.h. in dieser bestimmten Art des Seins, welche denken genannt wird, und die nur eine andere Art zu sein ist als z.B. die des Körpers, dessen Art zu sein darin besteht, daß er den Raum erfüllt, d.h. von diesem Raum, den er einnimmt, jeden andern Körper ausschließt. Das in dem cogito eingeschlossene sum hat also nicht die Bedeutung eines unbedingten Ich bin, sondern nur die Bedeutung eines »Ich bin auf gewisse Weise«, nämlich eben als denkend, in dieser Art zu sein, welche man denkend nennt. Daher kann auch in dem Ergo sum nicht enthalten sein: Ich bin unbedingter Weise sondern nur: Ich bin auf gewisse Weise. Von den Dingen kann man aber, wie schon gezeigt, eigentlich auch nur zweifeln, daß sie unbedingt sind; daß sie aber auf gewisse Weise sind, dies läßt sich auf dieselbe Weise herausbringen, wie Descartes sein Sum herausbringt. Es ist ebenso richtig zu schließen: Ich zweifle an der Realität der Dinge, also sind sie, oder wenigstens: also sind sie nicht gar nicht. Denn an dem, was gar nicht und auf keine Weise ist, kann[27] ich auch nicht zweifeln. Aus meinem Zweifel selbst an der Realität der Dinge folgt also – zwar nicht, daß sie unzweifelhaft oder unbedingt sind, aber doch, daß sie auf gewisse Weise sind; mehr folgt aber, wie gezeigt, auch aus dem Ich denke nicht, als daß ich auf gewisse Weise bin. Alles aber, was nur auf gewisse Weise ist, ist schon ebendarum ein zweifelhaft Seiendes. Im wahren Sinn des nicht bloß empirischen und subjektiven, sondern des objektiven und philosophischen Zweifels ist also das Sein, das ich mir selbst zuschreibe, so zweifelhaft als das, was ich den Dingen zuschreibe.

Allein wir können noch weiter zurückgehen und sogar das Ich denke selbst in Zweifel ziehen – wenigstens in der Bedeutung, die es unstreitig bei Descartes hat. Diesem Ausspruch: Ich denke, liegt nämlich zweierlei zugrunde: 1. das, was in mir denkt, z.B. was jetzt eben zweifelt, 2. das auf dieses Denken oder Zweifeln Reflektierende; nur indem dieses jenes Erste als mit sich identisch erkennt, sage ich: Ich denke. Das Ich denke ist also seiner Wahrheit nach keineswegs etwas Unmittelbares, es entsteht nur durch die Reflexion, welche sich auf das Denken in mir richtet, welches Denken übrigens auch unabhängig von jenem auf es Reflektierenden vonstatten geht, wie ich denn sogar in der Regel denke, ohne mir zu sagen, daß ich denke, ohne dieses Denken selbst wieder zu denken, ja das wahre Denken muß sogar ein objektiv unabhängiges von jenem auf es reflektierenden Subjekt sein, oder es wird um so wahrer denken, je weniger von dem Subjekt sich in es einmischt. Da es also zweierlei ist, das Denkende und das auf dies Denkende Reflektierende und es als eins mir sich Setzende, oder da es ein objektives, von mir unabhängiges Denken gibt, so könnte ja dieses in jener vermeinten Einheit oder, indem es das ursprüngliche Denken sich zuschreibt, eben darin könnte es sich täuschen, und das Ich denke könnte nicht mehr auf sich haben als der Ausdruck, dessen ich mich ja ebensowohl bediene: Ich verdaue, ich mache Säfte, ich gehe, oder ich reite; denn es ist doch nicht eigentlich das denkende Wesen, das geht[28] oder das reitet. Es denkt in mir, es wird in mir gedacht, ist das reine Faktum, gleichwie ich auch mit gleicher Berechtigung sage: Ich träumte, und: Es träumte mir. Die Gewißheit, welche Descartes dem cogito ergo sum zuschreibt, hält also selbst das Denken nicht aus; wenn es eine Gewißheit ist, so ist es eine blinde und gedankenlose. An diese Gewißheit indes knüpft Descartes alles andere an. Sein Prinzip ist: Alles, was ebenso klar und bestimmt eingesehen wird wie das Ich bin, muß auch wahr sein. Allein genauer ausgedrückt kann dies nur so viel heißen: Alles, was mit jener blinden, empirischen Gewißheit, die ich von meinem eignen Sein habe, zusammenhängt, oder was implizite mit dem Ich bin gesetzt ist oder sich erweisen läßt als zur Vollständigkeit dieser Vorstellung gehörig, muß ich also ebenso wahr annehmen wie dieses selbst (weiter geht's nicht); nämlich daß es auch objektiv und unabhängig von mir so sei, folgt nicht. Die Wahrheit des Ich bin kann ebensogut bestehen, wenn ich nur genötigt bin, jenes andere alles, z.B. meinen Körper und die andern auf ihn scheinbar einfließenden Dinge mir vorzustellen. Wenn ich einmal alles an das Ich bin knüpfen will, muß ich auch darauf Verzicht tun, jemals weiter zu kommen als zu dieser Notwendigkeit der Vorstellung alles andern; auch kann es mir, wenn ich mir selbst der Mittelpunkt alles Wissens bin, völlig gleichgültig sein, ob das, was ich mir vorzustellen genötigt bin, unabhängig von dieser Vorstellung da ist oder nicht, wie es, um Descartes' eignes Beispiel zu brauchen für den Träumenden, solang er träumt, völlig gleichgültig ist.

Descartes, dem es einmal nicht darum zu tun war, die Dinge zu begreifen, sondern nur darum, zu wissen, daß sie seien (das Wenigste, was man von den Dingen wissen kann), wurde durch seinen Vorgang Ursache, daß diese Frage: ob unseren Vorstellungen von den äußern Dingen in der Tat etwas entspreche, für geraume Zeit als Hauptfrage in der Philosophie betrachtet wurde. Es hätte dem Descartes ganz nahe gelegen, schon zum völligen Idealismus fortzugehen, d.h. zu dem System, welches behauptet,[29] daß die Dinge nicht objektiv außer uns, sondern nur in unsern, wenngleich notwendigen Vorstellungen existieren. Allein dies wollte er nicht; um daher jener notwendigen Konsequenz zu entgehen, nahm er zu einem andern Begriff seine Zuflucht. Weil die Vorstellungen keine Bürgschaft in sich selbst, so bedarf es eines Bürgen für die Wahrheit seiner Vorstellungen von Außendingen – hier sucht er aus dem Subjektiven ins Objektive zu kommen (metabasis) –, diesen Bürgen findet er in Gott, dessen Dasein aber dann vorher bewiesen sein muß. Dies bewerkstelligt er denn kürzlich auf folgende Art: Es ist in mir der Begriff eines allervollkommensten Wesens. (Dies wird als empirische Tatsache vorausgesetzt, wie das Ich denke eben auch nur ein empirisches Faktum ist.) Nun gehört aber zum Begriff des allervollkommensten Wesens – nicht, wie man späterhin sagte, der Begriff der Existenz überhaupt, denn so ungeschickt, wie Kant diesen Beweis vorstellt, pflegte Descartes, dem man innerhalb seiner Grenzen den ganzen Scharfsinn und die geistreiche Tüchtigkeit und Beweglichkeit seiner Nation zuerkennen muß, nicht zu schließen, der wohl wußte, daß Existenz überhaupt etwas gegen Vollkommenheit und Unvollkommenheit Gleichgültiges ist – es gehört zum Begriff des vollkommensten Wesens auch der Begriff der notwendigen Existenz. Sowie ich also Gott nur denke, muß ich auch einsehen, daß er existiert. Dies ist also der unter dem Namen des ontologischen bekannte Erweis des Daseins Gottes. Aus dem bloßen Begriff des allervollkommensten Wesens wird dann weiter geschlossen, das allervollkommenste Wesen würde dieses nicht sein, wenn es nicht auch das allerwahrhaftigste wäre (hier ein Übergang von dem Begriff, der bis jetzt nur als ein metaphysischer genommen schien, zu moralischen Eigenschaften), einem solchen also müßte es auch unmöglich sein, uns zu täuschen 1. in Ansehung der mathematischen Wahrheiten – (sonderbar, daß Descartes immer nur diese und nicht auch die allgemeinen Begriffe, so wie die Gesetze des Denkens, Urteilens und Schließens bezweifelt), 2. ebenso unmöglich (da nur Gott[30] diese Täuschung bewirken könnte) in Ansehung der sinnlichen Dinge. Hier wird daher nun Gott, nachdem ein ganz anderes principium cognoscendi angenommen war, doch auch noch anerkannt als das wahre Erkenntnisprinzip, d.h. als das, was aller Erkenntnis erst Wahrheit erteilt. Jene Berufung auf die Wahrhaftigkeit Gottes hat übrigens auf den Nachfolger des Descartes, den Franzosen Malebranche, so wenig gewirkt, daß er diesem Argument höchstens Wahrscheinlichkeit zugesteht und bemerkt, daß Gott, wenn er es sonst gut und nötig fände, uns gar wohl Körper vorstellen könnte, wenn es auch keine gäbe.

Was uns indes am wichtigsten sein muß, und weswegen ich von der Philosophie des Descartes vorzüglich einen Begriff zu geben gesucht habe, ist eben jenes von ihm auf die Bahn gebrachte ontologische Argument. Bei weitem weniger durch das, was er außerdem über die Anfänge der Philosophie behauptete, als durch die Aufstellung des ontologischen Beweises ist Descartes für die ganze Folge der neueren Philosophie bestimmend geworden. Man kann sagen: die Philosophie ist noch jetzt damit beschäftigt, die Mißverständnisse, zu denen dieses Argument Veranlassung gab, zu entwirren und auseinanderzusetzen. Merkwürdig ist dieses Argument auch noch, weil es unter den Schulbeweisen, mit denen die Existenz Gottes in der gewöhnlichen Metaphysik bewiesen zu werden pflegte, bis auf Kant noch immer obenan stand. Es ist wohl zu bemerken, daß dieses Argument von den Scholastikern keineswegs anerkannt wurde. Denn obgleich schon Anselm von Canterbury ein ähnliches aufgestellt hatte, so widersprach ihm doch Thomas von Aquin aufs bestimmteste. Vorzüglich wurde der sogenannte ontologische Beweis auch Gegenstand der Kantschen Kritik, allein weder Kant noch irgendeiner seiner Nachfolger hat den rechten Punkt getroffen. Der hauptsächlichste Einwurf gegen Descartes' Beweis, der vorzüglich von Kant geltend gemacht worden, beruht auf der schon erwähnten unrichtigen Vorstellung, als laute das Argument so: Ich finde in mir die Idee des vollkommensten Wesens, nun ist aber die Existenz selbst[31] eine Vollkommenheit, also ist in der Idee des vollkommensten Wesens von selbst auch die Existenz enthalten. Hier wird dann der Untersatz des Schlusses geleugnet. Man sagt, die Existenz sei keine Vollkommenheit. Ein Dreieck z.B. wird durch die Existenz nicht vollkommener, oder wenn dies wäre, so müßte mir ebensowohl verstattet sein zu schließen, das vollkommene Dreieck müsse existieren. Was nicht existiert, sagt man, ist weder vollkommen noch unvollkommen. Existenz drückt eben nur aus, daß das Ding, d.h., daß seine Vollkommenheiten, sind. Also ist die Existenz nicht eine dieser Vollkommenheiten, sondern sie ist das, ohne welches weder das Ding noch seine Vollkommenheiten sind. Allein ich habe schon bemerkt, daß Descartes nicht auf diese Weise schließt. Sein Argument lautet vielmehr so: der Natur des vollkommensten Wesens würde es widerstreben, bloß zufällig zu existieren (so wie z.B. meine eigne Existenz eine bloß zufällige prekäre und eben darum an sich zweifelhafte ist), also kann das vollkommenste Wesen nur notwendig existieren. Gegen dieses Argument wäre nun, besonders wenn man sich über den Begriff von notwendig Existieren verständigt und darunter nur das Gegenteil von zufällig Existieren versteht, so wäre, sage ich, gegen dieses Argument nichts einzuwenden. Aber der Schlußsatz des Descartes lautet anders. Wiederholen wir uns noch einmal den ganzen Syllogismus. Das vollkommenste Wesen kann nicht zufällig, mithin nur notwendig existieren (Obersatz); Gott ist das vollkommenste Wesen (Untersatz), also (sollte er schließen) kann er nur notwendig existieren, denn dies allein liegt in den Prämissen; statt dessen schließt er aber: also existiert er notwendig, und bringt dann auf diese Art scheinbar allerdings heraus, daß Gott existiert, und scheint die Existenz Gottes bewiesen zu haben. Aber es ist etwas ganz anderes, ob ich sage: Gott kann nur notwendig existieren, oder ob ich sage: er existiert notwendig. Aus dem Ersten (er kann nur notwendig existieren) folgt nur: also existiert er notwendig, N.B. wenn er existiert, aber es folgt keineswegs, daß er existiert. Darin liegt also[32] der Fehler des Descartesschen Schlusses. Wir können diesen Fehler auch so ausdrücken. In dem Obersatz (das vollkommenste Wesen kann nur notwendig existieren) ist bloß von der Art der Existenz die Rede (es ist nur gesagt, das vollkommenste Wesen könne nicht zufälligerweise existieren), im Schlußsatz (in der conclusio) ist aber nicht mehr von der Art der Existenz die Rede (in diesem Fall wäre der Schluß richtig), sondern von der Existenz überhaupt, also ist plus in conclusione quam fuerat in praemissis, d.h., es ist gegen ein logisches Gesetz gefehlt, oder der Schluß ist in der Form unrichtig. Daß dies der eigentliche Fehler sei, kann ich auch daraus beweisen, daß Descartes an mehreren Stellen selbst unmittelbar oder zunächst wenigstens nur auf die von mir angezeigte Art schließt. In einem Aufsatz, der überschrieben ist: Rationes Dei existentiam etc. probantes ordine geometrico dispositae, lautet die Konklusion so: Also ist es wahr, von Gott zu sagen, die Existenz sei in ihm eine notwendige, oder (setzt er hinzu) Er existiere. Das Letzte ist nun aber etwas ganz anderes als das Erste und kann nicht als gleichgeltend mit diesem an gesehen werden, wie durch das Oder angedeutet wird (Descartes selbst ist sich wohl bewußt, daß in seinem Begriff des vollkommensten Wesens eigentlich nur die Art der Existenz bestimmt ist. So sagt er in derselben Darstellung: Im Begriff eines limitierten, endlichen Dings ist enthalten die bloß mögliche oder zufällige Existenz, im Begriff des vollkommensten also der Begriff der notwendigen und vollkommenen Existenz). An einer andern Stelle, in seiner V. Meditation, führt er den Schluß so aus: Ich finde in mir die Idee Gottes nicht anders oder gerade so wie die Idee irgendeiner geometrischen Figur oder einer Zahl, nec, fährt er alsdann fort, nec minus clare et distincte intelligo, ad ejus naturam pertinere, ut semper existat. (Bemerken Sie dieses semper wohl; hier sagt er also nicht, ad ejus naturam pertinere, ut existat, sondern nur, ut semper existat.) Daraus folgt nun auch bloß, daß Gott wenn er existiert, nur immer existiert, aber es folgt nicht, daß er existiert. Der wahre Sinn des Schlusses ist[33] immer nur: entweder existiert Gott gar nicht, oder wenn er existiert, so existiert er immer, oder so existiert er notwendig, d.h. nicht zufällig. Aber damit ist klar, daß seine Existenz nicht bewiesen ist.

Mit dieser Kritik des Descartesschen Arguments geben wir nun aber zu, daß, wenn nicht die Existenz, doch die notwendige Existenz Gottes bewiesen sei – und dieser Begriff ist nun eigentlich derjenige, der von der bestimmendsten Wirkung für die ganze Folgezeit der Philosophie gewesen ist.

Was hat es also mit dieser notwendigen Existenz Gottes auf sich?

Schon indem wir als richtigen Schlußsatz nur diesen anerkennen: Also existiert Gott notwendig, wenn er existiert, schon dadurch sprechen wir aus, daß der Begriff Gottes und der Begriff des notwendig existierenden Wesens nicht schlechterdings identische Begriffe sind, so nämlich, daß der eine in dem andern genau aufginge, daß Gott nicht mehr wäre als das bloß notwendig existierende Wesen. Wäre er nur dieses, so wäre es allerdings ein von selbst sich verstehender Satz, daß er existiert. Vor allem fragt sich also:

1. Was ist unter dem notwendig existierenden Wesen zu verstehen?

2. Inwiefern ist Gott das notwendig existierende Wesen

3. Sind Gott und notwendig existierende Wesen identische Begriffe, inwiefern ist er mehr als nur dieses?

Um also das erste zu beantworten, soweit es auf dem Punkt, wo wir jetzt noch stehen, möglich ist (denn wir werden in der Folge noch mehr als einmal auf diesen Begriff zurückkehren), so unterscheiden wir in allem Sein

a) das was Ist, das Subjekt des Seins, oder wie man auch sonst sagt, das Wesen,

b) das Sein selbst, welches sich zu dem, was ist, als Prädikat verhält, ja von dem ich allgemein gesprochen sagen kann, daß es das Prädikat schlechthin ist, das was in jedem Prädikat eigentlich allein prädiziert wird. Es wird nirgends und in keinem möglichen Satz etwas anderes[34] ausgesagt als das Sein. Wenn ich z.B. sage: Phädon ist gesund, so wird eine Art des organischen, weiter des physischen, zuletzt des allgemeinen Seins ausgesagt; oder: Phädon ist ein Liebender, hier eine Art des gemütlichen Seins. Immer aber ist es das Sein, das ausgesagt wird. Nun steht es mir aber auch frei, das was Ist allein oder rein zu denken, ohne das Sein, das ich erst von ihm auszusagen hätte – habe ich es so gedacht, so habe ich den reinen Begriff gedacht, das, in dem noch nichts von einem Satz oder einem Urteil ist, sondern eben der bloße Begriff (es ist absurd, den reinen Begriff in das Sein zu setzen, was gerade das über den Begriff Hinausgehende, das Prädikat ist. Notwendig aber ist das Subjekt eher als Prädikat, wie denn schon in der alten gewöhnlichen Logik das Subjekt das Antecedens, das Prädikat das Consequens genannt wurde). Das was Ist ist der Begriff kat' exochên, es ist aller Begriffe Begriff, denn in jedem Begriff denke ich nur eben das, was Ist, nicht das Sein. Inwiefern ich nun das, was ist, rein denke, so ist also hier nichts über den bloßen Begriff Hinausgehendes, mein Denken ist noch in den reinen Begriff eingeschlossen, ich kann dem, was Ist, noch kein Sein beilegen oder attribuieren, ich kann nicht sagen, daß es ein Sein hat, und doch ist es nicht Nichts, sondern allerdings auch Etwas, es ist eben das Sein selbst, auto to ON, ipsum Ens – das Sein ist ihm noch im bloßen Wesen oder im bloßen Begriff, es ist das Sein des Begriffs selbst, oder es ist der Punkt, wo Sein und Denken eins ist. In dieser Bloßheit muß ich es wenigstens einen Augenblick denken. Aber ich kann es in dieser Abstraktion nicht erhalten; es ist nämlich unmöglich, daß das, was Ist, von dem ich nun weiter noch nichts weiß, als daß es der Anfang, der Titel zu allem Folgenden ist, aber noch nichts selbst ist – es ist unmöglich, daß das, was der Titel, die Voraussetzung, der Anfang zu allem Sein ist, daß dieses nicht auch sei – dies »sei« im Sinn von Existenz genommen, d.h. vom Sein auch außer dem Begriff. Damit wendet sich uns der Begriff nun unmittelbar, und zwar in sein Gegenteil um – wir finden das, was wir als das Seiende[35] selbst bestimmt hatten, nun auch wieder als das Seiende, aber als das Seiende in einem ganz andern – nämlich nur im prädikatlichen oder, wie wir auch sagen können, gegenständlichen Sinn, statt daß wir es vorher als das Seiende im urständlichen Sinn dachten. Hier ist die vollkommenste Conversio des Subjekts in das Objekt – wie es im reinen Begriff das bloße, reine Subjekt (suppositum, denn auch diese beiden Ausdrücke sind gleichbedeutend) oder der reine Urstand des Seins war – so ist es in unmittelbarer Folge seines Begriffs – eben vermöge seines Begriffs: das Seiende selbst zu sein – ist es unmittelbar, eh' wir es uns versehen, das objektiv, das gegenständlich Seiende.

Betrachten wir es nun näher als dieses gegenständlich Seiende, wie wird es sich uns darstellen? Offenbar als das nicht sein Könnende und demnach als das notwendig, das blind Seiende. Das blind Seiende insbesondere ist das, dem keine Möglichkeit seiner selbst vorausgegangen ist. Ich handle z.B. blind, wenn ich etwas tue, ohne mir vorher seine Möglichkeit vorgestellt zu haben. Wenn die Handlung dem Begriff der Handlung zuvoreilt, so ist dies eine blinde Handlung, und ebenso ist das Sein, dem keine Möglichkeit vorausgegangen, das nie nicht-sein und darum auch nie eigentlich sein konnte, das vielmehr seiner Möglichkeit als solcher zuvorkommt, ein solches Sein ist das blinde Sein. Man könnte einwenden: wir haben doch selbst zuerst von dem was Ist gesprochen und es als das Prius, als den Urstand, d.h. als die Möglichkeit des Seins, bestimmt. Ganz richtig; aber wir fügten auch gleich hinzu, es sei in dieser Priorität nicht zu erhalten, also, wenn auch das Prius, doch nie als das Prius, der Übergang sei ein unaufhaltsamer, es sei an sich, also es sei keinen Augenblick möglich, daß das was Ist nicht sei, also es als nicht seiend zu denken. Dasjenige nun aber, dem es unmöglich ist, nicht zu sein (quod non potest non-existere), diesem ist es auch nie möglich zu sein – denn jede Möglichkeit zu sein schließt auch die Möglichkeit nicht zu sein in sich -also ist das, dem es unmöglich ist, nicht zu sein, auch nie in der Möglichkeit zu sein, und das Sein, die Wirklichkeit,[36] kommt der Möglichkeit zuvor. Hier haben Sie nun also den Begriff des notwendig seienden, des notwendig existierenden Wesens, und Sie begreifen zugleich aus dieser Genesis desselben, mit welcher Gewalt er auf das Bewußtsein gleichsam einstürzt und ihm jede Freiheit nimmt. Es ist der Begriff, gegen welchen das Denken alle seine Freiheit verliert.

Nun entsteht aber die Frage, wie Gott, das notwendig seiende oder existierende Wesen, genannt werden könne. Descartes begnügt sich mit dem populären Argument, weil die nicht notwendige, d.h., die zufällige Existenz (wie er den Begriff bestimmt) eine Unvollkommenheit sei, Gott aber das allervollkommenste Wesen sei. Was er unter dem vollkommensten Wesen denkt, sagt er nicht; man sieht aber wohl, daß er darunter dasjenige denkt, was das Wesen alles Seins ist, das nicht ein Sein außer sich hat, gegen welches sein eignes Sein sich auch als ein Sein verhält, oder einfacher, das nicht ein Seiendes ist, das ein anderes Seiendes oder andere Seiende außer sich hat, sondern das schlechthin Seiende, das also in seinem höchsten Begriff nur eben das sein kann, was wir das Seiende selbst, ipsum Ens, genannt haben. Ist nun Gott nur als das Seiende selbst, und ist das, was das Seiende selbst ist, nur zu bestimmen als das nicht nicht sein Könnende, als das, dem es unmöglich ist, nicht zu sein, so ist Gott entschieden und ohne allen Zweifel das notwendig Existierende; – dieses ist nun der höchste Sinn, in welchem das eigentliche ontologische Argument zu nehmen ist; auf dieses kommt jener sogenannte Beweis des Anselm zurück. Es leuchtet nun aber auch sofort ein, woher das Mißtrauen gegen diesen sogenannten Beweis entstanden ist und warum namentlich die Scholastik ihn vielmehr zu widerlegen und abzulehnen als aufzunehmen für gut fand.

Hier kommen wir auf die Frage, ob der Begriff des notwendig existierenden Wesens mit dem Begriff Gottes identisch sei.

Wir haben eben das notwendig Existierende zugleich als das blindlings Existierende erwiesen. Nun ist aber nichts[37] der Natur Gottes, wie sie im allgemeinen Glauben gedacht wird – und nur aus diesem hat Descartes, haben also auch wir bis jetzt diesen Begriff aufgenommen –, nichts ist der Natur Gottes mehr entgegen als das blinde Sein. Denn das Erste im Begriff des blindlings Seienden ist doch, daß es gegen sein Sein ohne alle Freiheit ist, es weder aufheben noch verändern oder modifizieren kann. Was aber gegen sein eignes Sein keine Freiheit hat, hat überhaupt keine – ist absolut unfrei. Wäre also Gott das notwendig existierende Wesen, so könnte er nur zugleich als das starre, unbewegliche, schlechthin unfreie, keines freien Tuns, Fortschreitens oder von sich selbst Ausgehens Fähige bestimmt werden. Entweder müßten wir bei diesem blind Seienden stehenbleiben – wir kämen mit keinem Schritt über das blind Seiende überhaupt hinaus –, oder wenn wir von ihm aus fortschreiten, wenn wir von ihm aus etwa zu der Welt gelangen wollten, so könnte dies nur geschehen, inwiefern wir in seinem blinden Sein etwa eine emanative Kraft nachweisen könnten, vermöge dessen von diesem blinden Sein anderes Sein, z.B. das der Dinge, ausströmte – ich sage ausströmte – nicht ausginge, denn damit wäre noch immer der Gedanke einer Hervorbringung zu verknüpfen – aber eben dieser ist mit einem blinden Sein durchaus nicht zu vereinigen; ein solches könnte höchstens als emanative Ursache gedacht werden, und auch nur dies würde nicht geringe Schwierigkeit darbieten. Hier stoßen wir nun also, um einen Kantischen Ausdruck anzuwenden, auf eine Antinomie zwischen dem, was aus der Vernunft mit Notwendigkeit folgt, und dem, was wir eigentlich wollen, wenn wir Gott wollen. Denn bis jetzt ist Gott offenbar ein bloßer Gegenstand unseres Wollens – wir sind durch nichts genötigt, den Ausdruck Gott zu brauchen, von dem absoluten Vernunftbegriff, von dem Begriff dessen, was Ist, ausgehend, werden wir nur auf den Begriff des notwendig existierenden Wesens, nicht aber auf den Begriff Gottes geführt. Gehen wir aber sogar von dem Begriff Gott aus, so können wir nicht umhin, zu sagen: Gott ist das Wesen alles Seins, er ist das was[38] Ist im absoluten Sinn, to ON, wie er auch immer bestimmt wurde, ist er aber dies, so ist er auch das notwendig und blindlings Existierende. Allein wenn er das blindlings Existierende ist, so ist er eben darum nicht Gott – nicht Gott in dem Sinn, welchen das allgemeine Bewußtsein mit diesem Wort und Begriff verbindet. Wie ist nun hier zu helfen, oder wie ist dieser Enge oder Klemme, in der wir uns befinden, zu entkommen? Es wäre eine schlechte Hilfe, wenn man bloß widersprechen wollte, daß Gott das notwendig existierende Wesen ist. Denn damit würde der eigentliche Urbegriff aufgehoben, den wir schlechterdings nicht aufgeben dürfen, soll unserm Denken nicht überall der feste Ausgangspunkt fehlen.

Gott als solcher ist freilich nicht bloß das notwendig oder blindlings existierende Wesen, er ist es zwar, aber er ist als Gott zugleich das, was dieses sein eignes, von ihm selbst unabhängiges Sein aufheben, sein notwendiges Sein selbst in ein zufälliges, nämlich in ein selbst-gesetztes verwandeln kann, so daß es im Grunde (der Grundlage nach) zwar immer besteht, aber effektiv oder in der Tat in ein anderes umgesetzt ist, oder so: daß jenem selbst-gesetzten zwar immer das notwendige zugrunde liegt, ohne daß das effektive, das wirkliche Sein Gottes bloß dieses notwendige wäre.

Die Lebendigkeit besteht eben in der Freiheit, sein eignes Sein als ein unmittelbar, unabhängig von ihm selbst gesetztes aufheben und es in ein selbst-gesetztes verwandeln zu können. Das Tote, in der Natur z.B., hat keine Freiheit, sein Sein zu verändern, wie es ist, so ist es – in keinem Moment seiner Existenz ist sein Sein ein selbstbestimmtes. Der bloße Begriff des notwendig Seienden würde also nicht auf den lebendigen, sondern auf den toten Gott führen. Allgemein aber wird im Begriff Gottes gedacht, daß er tun kann, was er will, und da er keinen Gegenstand seines Tuns hat als seine Existenz, so – kann ich nicht sagen: es wird, aber es muß im Begriff Gottes gedacht werden, daß er frei ist gegen seine Existenz, nicht an sie gebunden, daß er sie selbst wieder zum Mittel machen,[39] in ihrer Absolutheit aufheben kann. Wenn freilich diejenigen, welche die Freiheit Gottes aussprechen und behaupten, nicht gewohnt sind, sie auf diese Art auszusprechen – sie zu denken als Freiheit Gottes gegen seine Existenz, als Freiheit, diese Existenz als eine absolut gesetzte aufzuheben: so wird doch allgemein im Begriff Gottes die absolute Freiheit des Tuns gedacht. Ich sage allgemein. Denn der Begriff Gottes gehört keineswegs der Philosophie insbesondere an, er ist unabhängig von der Philosophie vorhanden im allgemeinen Glauben. Nun steht es allerdings dem Philosophen frei, von diesem Begriff gar keine Notiz zu nehmen, ihn zu umgehen. Aber Descartes, mit dem wir uns beschäftigen, hat ihn vielmehr hereingezogen in die Philosophie, und da ist denn die Antinomie offenbar.

Gott kann nur als das notwendig existierende Wesen gedacht werden, und zwar in einem Sinn, in welchem diese notwendige Existenz alles freie Tun aufhebt. Aber das, was unabhängig von der Philosophie Gott genannt wird und unstreitig vor aller Philosophie so genannt worden, kann nicht in diesem Sinn das notwendig Existierende sein – er muß als frei gedacht werden – gegen sein eignes Sein – denn sonst könnte er sich nicht bewegen, nicht von sich, d.h. von seinem Sein, ausgehen, um ein anderes Sein zu setzen. Die Frage ist nur, wie diese Antinomie zu überwinden. Dieses zu zeigen ist Sache der Philosophie selbst.

Von einer anderen Seite wurde das System des Descartes folgereich und bestimmend für den ferneren Gang des menschlichen Geistes – durch die absolute Entgegensetzung zwischen Geist und Körper, die er in die Philosophie einführte. Man nennt dies gewöhnlich den Dualismus des Descartes. Sonst versteht man unter Dualismus das System, welches neben dem ursprünglich guten ein ebenso ursprünglich böses Prinzip behauptet, das bald als ein ihm völlig gleichmächtiges, bald wenigstens als ein ebenso ursprünglich wie jenes existierendes Prinzip angesehen wurde. So weit ging Descartes nicht, daß er die Materie, wie jener und die Gnostiker, als Quelle alles Bösen, als das[40] allem Guten Widerstrebende gesetzt hätte. In diesem Fall war ihm die Materie wenigstens ein wahres Prinzip. Allein sie ist ihm nicht das Prinzip der Ausdehnung, sondern die bloße ausgedehnte Sache. Er hatte anfangs, wie gesagt, an der Existenz des Körperlichen gezweifelt, dagegen, woran er nicht zweifeln zu können glaubte, war seine Existenz als denkendes Wesen, wiewohl der Schluß von dem bloßen actus cogitandi, dessen allein er unmittelbar gewiß sein konnte, weil dieser allein in der unmittelbaren Erfahrung vorkommt, auf eine ihm zugrunde liegende denkende Substanz, wofür er die Seele ansah, keineswegs außer allem Zweifel war. Im Fortgang seiner Betrachtungen stellte er nun zwar auf die Art, wie ich gezeigt, indem er Gott als einen wahren Deus ex machina herbeirief, und im Vertrauen, daß Gott als das wahrhafteste Wesen uns mit der Körperwelt nicht als mit einer bloßen Phantasmagorie täuschen könne – damit restituierte er zwar die Körperwelt in integrum; das Körperliche war ihm nun etwas Wirkliches, aber Geist und Körper waren einmal auseinander, und er konnte sie nicht mehr zusammenbringen. Er sah in dem Körperlichen nur den Gegensatz des Geistigen und Denkenden, ohne für möglich zu halten, daß es, so verschieden auch beide in ihrer Funktion erscheinen, dennoch ein und dasselbe Prinzip sein könnte, das dort in der Materie nur im Zustand seiner Erniedrigung, hier als Geist nur im Zustand seiner Erhöhung sich befinde, dort im Zustand seiner gänzlichen Selbstverlorenheit, des völligen außer-sich-Seins, hier im Zustand des Selbstbesitzes, des in-sich-Seins. Ihm schien es möglich, daß ein absolut Totes, d.h. ein solches Totes, in dem nie Leben war, also ein ursprünglich Totes, ein Äußerliches ohne alles Innerliche, ein Erzeugtes, ohne etwas von dem erzeugenden Prinzip in sich selbst zu haben, sein könne. Ein solches absolut oder ursprünglich Totes widerstrebt aber nicht bloß allem wissenschaftlichen Begriff, sondern selbst der Erfahrung. Denn 1. gibt es doch eine lebendige Natur (Tiere; Schwierigkeit, diese zu erklären), 2. die sogenannte tote ist eben nie als ein Totes zu begreifen, d.h. als ein[41] absoluter Mangel des Lebens, sondern nur als erloschenes Leben – als Residuum oder caput mortuum eines vorhergegangenen Prozesses, also eines vorhergegangenen Lebens. Dieses Tote, Gebundene der Materie schien lebendigen Geistern so wenig etwas Ursprüngliches sein zu können, daß manche es nur durch eine vorausgegangene Katastrophe sich erklären zu können glaubten, wie in Indien nur als etwas Zugezogenes, als Strafe einer Schuld, als Folge eines uralten Abfalls in der Geisterwelt, wie die älteste griechische Mythologie in der körperlichen Materie nur die erstickten Titanengeister der Urzeit erblickte. – Descartes hielt freilich diese tote, geistlose Materie auch für etwas, aber unmittelbar, nicht aus einem früheren Zustande Gewordenes; er läßt sie in Gestalt eines rohen zusammenhängenden Klumpens von Gott erschaffen, hierauf entzweischlagen, daß sie in unendlich viele Teile auseinanderfährt, die dann durch ihre Rotationen, Wirbel usw. das Weltsystem und seine Bewegung erzeugen. Diese Roheit des wissenschaftlichen Begriffs, die uns noch so nahe liegt und kaum durch zwei Jahrhunderte von uns getrennt ist, mag heutzutag fast unglaublich erscheinen. Man kann daran ermessen, welchen Weg der menschliche Geist seitdem zurückgelegt hat. Aber man mag daraus auch sehen, wie schwer und darum langsam die Fortschritte in der Philosophie sein müssen, die sich diejenigen, welchen sie zugut kommen, oder die davon profitieren, so leicht vorstellen – wenn Geister wie Descartes bei solchen Vorstellungen stehenbleiben konnten. Es wäre unrecht, darum geringer von ihnen zu denken.

Ich habe schon bemerkt, der Gegensatz ist bei Descartes nicht etwa ein Gegensatz zweier Prinzipien, so daß er ein Prinzip des Denkens und ein Prinzip der Ausdehnung annähme. Das bloße Prinzip der Ausdehnung könnte in seiner Art noch immer auch ein geistiges, es brauchte nicht notwendig selbst ein ausgedehntes zu sein, wie z.B. das Prinzip der Wärme darum, weil es dies ist, nicht selbst warm ist, obgleich es den Körper warm macht, ihm Wärme mitteilt. Descartes weiß nichts von einem Prinzip der[42] Ausdehnung, sondern nur von der ausgedehnten Sache, welche eben darum ein schlechthin Ungeistiges ist. Von der andern Seite spricht er von sich selbst als von einer Sache, die denkt: je suis une chose, qui pense1. Das Ding, das denkt, und das Ding, das ausgedehnt ist, sind ihm also zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschließen und nichts miteinander gemein haben; das ausgedehnte Ding ist das völlig entgeistete, geist-lose; hinwiederum ist das Geistige das schlechterdings immaterielle; das Ausgedehnte ist bloßes Neben- und Außereinandersein, reine Zerfallenheit, die, inwiefern sie gleichwohl als zusammengehalten erscheint, wie in den körperlichen Dingen, nicht durch ein inneres und demnach geistiges Prinzip, sondern nur durch äußeren Druck und Stoß zusammengehalten ist. Das ausgedehnte Ding besteht aus Teilen, die sich schlechterdings äußerlich sind, diesen Teilen selbst fehlt ein innerlich bewegendes Prinzip, also auch jede innere Bewegungsquelle. Alle Bewegung beruht auf Stoß, d.h., sie ist rein mechanisch. Wie in der Materie nichts von Geist, so ist nach Descartes hinwiederum in dem Geist nichts der Materie Verwandtes, das in der Materie Seiende nicht ein nur auf andere Art Seiendes, sondern ein toto genere Verschiedenes, beide sind außer aller Berührung, zwei ganz disparate Substanzen, zwischen denen eben darum auch keine Gemeinschaft möglich ist.

Zwei Dinge, die schlechterdings nichts miteinander gemein haben, können auch nicht aufeinander wirken. Für die Philosophie des Descartes war es daher eine sehr schwierige Aufgabe, jene unleugbare Wechselwirkung zu erklären, welche zwischen dem denkenden Wesen und dem ausgedehnten offenbar stattfindet. Wenn beide durchaus nichts miteinander gemein haben, wie können dennoch Körper und Geist so vieles gemeinschaftlich tun und gemeinschaftlich leiden? Wie wenn ein körperlicher Schmerz vom Geist empfunden wird oder ein bloß auf den Körper gemachter Eindruck zum Geist sich fortpflanzt und[43] in dem denkenden Ding, das wir unsere Seele nennen, eine Vorstellung erzeugt, oder wenn umgekehrt eine Anstrengung des Geistes, ein Schmerz unserer Seele den Körper ermüdet oder krank macht oder der Gedanke unseres Geistes, wie z.B. im Sprechen, bloß körperliche Organe ihm zu dienen zwingt oder ein Wille, ein Entschluß unseres Geistes in dem ausgedehnten Ding, das wir unsern Körper nennen, eine entsprechende Bewegung hervorbringt. Das hierüber – bis auf die Zeit des Descartes – in den Schulen angenommene ältere System war das System des sogenannten natürlichen oder unmittelbaren Einflusses (Systema influxus physici), das, wenn auch nicht deutlich bewußt, doch unbewußterweise auf der Voraussetzung einer gewissen Homogenität der letzten Substanz beruhte, der beiden, der Materie und dem Geist, zugrunde liegenden und daher gemeinschaftlichen Substanz. Freilich war es eine grobe Vorstellung, wenn man dies bloß durch ein allmähliches Feiner-werden der Materien erklären wollte, wie in gewissen Hypothesen der Physiologen, die zwar einen unmittelbaren Einfluß des Geistes auf das, was man das grob Körperliche nannte, für unmöglich hielten, die aber meinten, wenn man zwischen dem Geist und dem grob Körperlichen nur feinere Materien einschalte (ehemals sprach man von Nervensaft oder, wie man sich heutzutage vermeintlich vornehmer ausdrückt, Nervenäther), so müsse doch einmal ein solcher unmittelbarer Übergang möglich sein.

Descartes beseitigte die Schwierigkeiten, welche für seinen Dualismus durch die offenbare Wechselwirkung zwischen dem denkenden und ausgedehnten Ding entstanden, kürzlich damit, daß er 1. den Tieren alle Seele absprach, sie für bloße höchst künstliche Maschinen erklärte, die alle – auch ihre offenbar vernunftähnlichen Handlungen nur so ausüben, wie eine gute Uhr die Stunde zeigt. Eine Notwendigkeit, den Tieren die Seele abzusprechen, lag für ihn auch darin: Wo sich der Gedanke findet, da findet sich eine von der Materie ganz verschiedene, also unzerstörte, unsterbliche Substanz, also etc. 2. Was den Menschen[44] betrifft, so hält er ihn zwar dem Körper nach ebenfalls nur für eine höchst künstlich eingerichtete Maschine, die, wie ein aufgezogenes Uhrwerk, völlig unabhängig von der Seele nur ihrem eignen Mechanismus gemäß alle natürlichen Handlungen verrichtet; was aber die Bewegungen betrifft, welche nicht als automatische sich erklären lassen, die gewissen Bewegungen oder Willensakten des Geistes entsprechen, so weiß er sich hier nicht anders zu helfen, als indem er annimmt, daß in jedem solchen Fall, wenn z.B. in dem Geist ein Begehren oder Wollen entsteht, das der Körper vollziehen soll, Gott selbst ins Mittel trete und in dem Körper die entsprechende Bewegung hervorbringe – als ob es begreiflicher sein soll, wie der höchste Geist (denn Gott [ist] ihm nicht etwa Identität) als wie der menschliche auf das rein Körperliche einwirke. Und ebenso bei Gelegenheit jedes Eindrucks, den materielle Dinge auf unsern Körper hervorbringen, tritt der Schöpfer selbst ins Mittel und bringt die entsprechende Vorstellung in der Seele hervor; die Seele für sich selbst wäre unzugänglich für alle äußeren oder materiellen Eindrücke, nur Gott vermittelt, daß meine Seele eine Vorstellung von körperlichen Dingen hat. Dies ist also auch nicht eine wesentliche, sondern nur eine akzidentelle oder okkasionelle Einheit zwischen Materie und Geist. An sich bleiben beide untereinander. Es ist unitas non naturae sed compositionis. Weil nun Gott hierbei immer nur gelegenheitlich handelt, so erhielt dieses System in der Folge davon den Namen des Okkasionalismus. Aber wie Descartes überhaupt in der Philosophie fast nur erscheint, um einem andern Geist die Grundlage zu einem ganz andern System darzubieten, so hat auch diese Hypothese, wodurch der Zusammenhang zwischen Seele und Leib, Geist und Körper erklärt werden sollte, nur dadurch eine Bedeutung in der Geschichte der Wissenschaft, daß jene momentane und immer bloß vorübergehende Identität zwischen Materie und Geist, zwischen dem ausgedehnten und denkenden Ding, Veranlassung zu der bleibenden und substantiellen Identität gab, welche bald nachher Spinoza[45] nicht bloß zwischen dem denkenden und ausgedehnten Ding, sondern zwischen Denken und Ausdehnung selbst behauptete. – Eine andere Folge des Descartesschen Systems in dieser Beziehung war, daß die Frage nach dem sogenannten commercio animi et corporis – welche in einer hinsichtlich der Prinzipien höher gestellten Philosophie nur eine untergeordnete Stelle einnimmt – auf längere Zeit fast zur Hauptfrage in der Philosophie wurde, mit der man, wo nicht ausschließlich, doch vorzüglich sich beschäftigte, ja daß längere Zeit ein System von dem andern fast bloß durch die Art, wie es diese Frage beantwortete, sich unterschied.

Den allgemeinsten, aber zugleich schlimmsten Einfluß übte die Philosophie des Descartes aus, indem sie das schlechterdings Zusammengehörige, gegenseitig sich Erklärende und Voraussetzende, Materie und Geist, absolut auseinander riß und so den großen allgemeinen Organismus des Lebens zerstörte und mit dem niederen zugleich den höheren einer toten bloß mechanischen Ansicht preisgab, die nahezu bis auf die letzte Zeit in allen Teilen des menschlichen Wissens und selbst in der Religion die herrschende blieb.

So viel über diese Seite der Descartesschen Philosophie, die man ihren Dualismus zu nennen pflegt. Jetzt wollen wir noch einen allgemeinen Blick auf sie werfen.

Descartes ist groß durch den allgemeinen Gedanken, daß in der Philosophie nichts für wahr gehalten werden dürfe, als was deutlich und klar erkannt werde. Da nun aber dies unmittelbar wenigstens nicht überall möglich ist, so müsse wenigstens alles in einem notwendigen Zusammenhang erkannt werden mit dem, dessen ich mir unmittelbar und zweifellos bewußt bin. Er brachte auf diese Art zuerst mit deutlichem Bewußtsein in die Philosophie den Begriff eines Prinzips und einer gewissen Genealogie unserer Begriffe und Überzeugungen, in welchen nichts für wahr zu halten sei, als inwiefern es sich von dem Prinzip herschreiben und herleiten lasse. Seine Beschränkung nun aber bestand darin, daß er nicht das an sich Erste[46] suchte, sondern sich mit dem einem jeden, also auch mir Ersten begnügte. (Subjektive Allgemeinheit, nicht Allgemeinheit in der Sache selbst.) So hatte er im Grunde auch auf den Zusammenhang, wie er in der Sache, nämlich zwischen dem Prinzip und den Dingen selbst stattfindet, mit Einem Wort auf den objektiven Zusammenhang verzichtet und mit einem bloß subjektiven sich begnügt. Zwar ging er in der Folge fort zu dem Begriff des an sich Ersten, zum Begriff Gottes; allein er konnte diesen nicht wohl zum Prinzip machen, indem er an demselben eben nur die notwendige Existenz begriffen hatte, nicht aber was über diese hinzukommt und was Gott eigentlich erst zu Gott macht. Descartes dachte sich auch dieses Plus noch immer bei dem Begriff Gott, aber dieses Plus trat nicht herein in seine Erkenntnis, es blieb außerhalb desselben als ein bloß Vorausgesetztes, nicht Begriffenes.

Vergleichung Bacons und Descartes'. Hätten wir in der geschichtlichen Entwicklung der neueren Systeme der chronologischen Ordnung folgen wollen, so hätten wir Bacon zuerst und noch vor Descartes nennen müssen; denn er ist 1560, Descartes 1596 geboren. Indes fängt mit Bacon die Entwicklung des neueren Empirismus ebenso wie mit Descartes die Entwicklung des Rationalismus an. Bacons Hauptwerke (und darauf kommt es doch eigentlich an) sind übrigens fast gleichzeitig mit Descartes' ersten Schriften (denn dieser fing noch sehr jung schon an, seine neuen Grundsätze bekanntzumachen). Man sieht nicht, daß einer dieser beiden großen Schriftsteller auf den andern Einfluß geübt hätte. Der Sache nach stehen sie also nebeneinander – es ist eine gleichzeitige Erneuerung des Empirismus, die durch Bacon, und des Rationalismus, die durch Descartes geschehen ist. Von Anfang der neueren Philosophie gehen also Rationalismus und Empirismus nebeneinander her und sind sich bis jetzt parallel geblieben. In der Geschichte des menschlichen Geistes ist es leicht, eine gewisse Gleichzeitigkeit zwischen großen Geistern wahrzunehmen, die von verschiedenen Seiten dennoch am Ende auf dasselbe Ziel hinwirken. Dies gilt auch von Bacon[47] und von Descartes. Das Gemeinschaftliche beider ist die Losreißung von der Scholastik. Bacon setzt sich nicht eigentlich dem späteren, sondern nur dem scholastischen Rationalismus entgegen. Descartes so gut als Bacon will das, was im Gegensatz der Scholastik Realphilosophie zu nennen ist – (A. Scholastik. B. Realphilosophie: a) Rationalismus. b) Empirismus). Die ersten Maximen des Descartes führen in ihrer Entwicklung notwendig dahin, daß es die Sache, der Gegenstand selbst ist, der durch seine Bewegung die Wissenschaft erzeugt, nicht die bloß subjektive Bewegung des Begriffs, wie in der Scholastik. Aber eben dies will auch Bacon. Seine Philosophie ist insofern Realphilosophie, als er nicht vom Begriff, sondern von Tatsachen, d.h. von der Sache selbst, soweit sie in der Erfahrung gegeben ist, ausgehen will. Allein wenn man es genauer untersucht, sind beide sich noch näher verwandt. Denn Bacons Induktion ist ihm, wie man aus seiner Erklärung deutlich sieht, noch nicht eigentlich die Wissenschaft selbst, sondern nur der Weg zu ihr. Er spricht sich darüber auf folgende Art aus: »Ich überlasse, sagt er, den Scholastikern den Syllogismus. Dieser setzt bereits bekannte und bewahrheitete (als wahr erkannte) Prinzipien voraus (dies ist ganz richtig; der Gebrauch des Syllogismus fängt eigentlich erst an, nachdem man schon allgemeine und rationale Prinzipien hat, und ist daher eigentlich wichtiger in den untergeordneten Wissenschaften als in der Philosophie; denn die Philosophie ist die Wissenschaft, welche diese allgemeinen Prinzipien sucht) – ich überlasse, sagt also Bacon, der Scholastik den Syllogismus, der mir zu nichts nützen kann, denn er setzt schon die Prinzipien voraus, und diese sind es, die ich suche; ich halte mich also an die Induktion – nicht an jene niedrigste Art derselben, die auf dem Wege der bloßen Aufzählung fortschreitet (wie z.B. in den früheren Argumenten, wo wir die Apostel aufzählten), diese Art von Induktion hat den Nachteil, daß das kleinste widersprechende Faktum das Resultat zerstört; sondern ich halte mich an jene Art der Induktion, welche, indem sie mit[48] Hilfe richtiger und wohlgetroffener Ausschließungen und Verneinungen die notwendigen Tatsachen von den unnützen sondert, die ersten auf eine sehr kleine Anzahl zurückbringt und so die wahre Ursache in den kleinstmöglichen Raum einschließend deren Entdeckung um so leichter macht. Von diesen so reduzierten (auf wenige zurückgebrachten) Tatsachen und immer mit dem Licht der Induktion werde ich mich Schritt vor Schritt und mit äußerster Langsamkeit zu partikularen Sätzen erheben, von diesen zu mittleren, endlich von diesen zu den principiis generalissimis et evidentissimis – nun bleibt aber Bacon hier nicht stehen, sondern, nachdem er diese gefunden, sagt er: auf diese wie auf unerschütterliche Grundlagen mich stützend, werde ich mit Kühnheit in meinen Gedanken vorschreiten, sei es um neue Beobachtung vorzuschreiben, oder die Beobachtung gänzlich zu ersetzen, wo sie nicht möglich ist (d.h. doch wohl nach den gefundenen allgemeinsten Prinzipien über diejenigen Fragen oder Gegenstände entscheiden, die durch keine Beobachtung erreichbar sind), und nachdem ich mit dem Zweifel (also wie Descartes) angefangen, werde ich mit der Gewißheit enden und eine richtige Mitte halten zwischen der dogmatischen Philosophie der Peripatetiker (d.h. der Scholastiker), die anfängt, womit sie enden sollte (den allgemeinen Prinzipien), und der wankenden Philosophie der Skeptiker, die da aufhört womit man etwa anfangen könnte« (mit dem Zweifel). Im Grunde will also Bacon so gut wie Descartes auch am Ende eine vorschreitende Philosophie; nur soll diese durch Induktion, regressiv begründet werden. (Bacon verwirft keineswegs die allgemeinen Prinzipien, wie er von seinen Nachfolgern, namentlich von Locke, David Hume und noch mehr von den Sensualisten verstanden worden. Er will vielmehr eben zu diesen durch Induktion gelangen und von ihnen aus, wie er sagt, dann erst zur Gewißheit gelangen). Bacon ist freilich über die Begründung nicht hinaus – und nicht in die Wissenschaft selbst hineingekommen. Aber dasselbe ist ja der Fall mit Descartes; denn auch er endigt eigentlich mit[49] dem, wovon anfangend erst eigentlich progressive Wissenschaft möglich gewesen wäre, mit dem Höchsten, mit Gott. Beide sind eins in ihrem Gegensatz gegen die Scholastik, in dem gemeinschaftlichen Streben nach einer reellen Philosophie. Sie trennen sich entschieden erst in bezug auf den höchsten Begriff, welchen Descartes durch ein Argument a priori, von aller Erfahrung, also auch von seinem eignen Ausgangspunkt (der unmittelbaren Tatsache Ich denke) unabhängig machen will – dadurch Urheber der apriorischen, rational-apriorischen Philosophie, während Bacon unstreitig auch noch das Höchste als ein Empirisches will.[50]

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